Gesellschaft 27. August 2025, von Rita Gianelli

Spektakulärer Fund in Flims gemacht

Archäologie

Archäologische Ausgrabungen zeigen jetzt, dass sich unter dem heutigen Friedhof in Flims viele ältere Anlagen befinden. Aber es gab noch eine Überraschung. 

Die Besitzverhältnisse sind klar geregelt: Friedhof und Kirchturm (weil letztgenannter früher Wach- und Warnfunktionen hatte) gehören der politischen Gemeinde. Kirchenschiff und -chor sind im Besitz der Kirchgemeinde. So ist das vielerorts in der Schweiz geregelt. Als die politische Gemeinde Flims vor einigen Jahren die Sanierung des Friedhofs plante, bot dies auch der Kirchgemeinde die Gelegenheit, die eigenen Renovationsarbeiten einzuleiten. «Schon lange planten wir, unsere Kirche hindernisfrei umzubauen, die Sakristei zu erweitern und die sanitären Anlagen zu modernisieren», sagt Kirchgemeindepräsident Ernst Wunderli. Als im Frühling die Bagger auffuhren, staunten die Arbeiter nicht schlecht, als sie beim Aushub für den Anbau der neuen Sakristei auf menschliche Skelette stiessen. Zwar ist das in der Umgebung von Kirchen nicht unüblich, weil diese oft an alte Grabstätten grenzen. Doch der Fund bei der reformierten Kirche St. Martin in Flims ist speziell. «Das hier ist ein altes Beinhaus, das man an die Mauer angebaut hat. Ein sehr interessantes Zeitzeugnis, das aus keiner Quelle bekannt war», sagt Patricia Hubmann vom Archäologischen Dienst Graubünden. Sie leitete die Ausgrabungen und führt jetzt zur freigelegten Mauer hinter der Kirche. Vermutlich wurden die Steine als Stütze verbaut, um zu verhindern, dass der Hang ins Rutschen gerät. Hier sind menschliche Knochen deutlich sichtbar. 

Geschichte untersuchen
Drei archäologische Mitarbeitende und Archäologinnen arbeiten mit Hubmann auf dem Kirchengelände St. Martin in Flims. Mit Spachtel, Pinsel, Pickel und Schaufel legen sie Schicht um Schicht des Geländes frei. Schutz vor der Witterung bietet ihnen ein weisses Zeltdach. Die freigelegten Knochen werden in Kisten verpackt und ins archäologische Labor nach Chur transportiert. Dort untersucht eine Anthropologin die Fundstücke. So entsteht ein Bild der Menschen und der Zeit, in der sie gelebt haben. Anhand der Knochenstruktur können nicht nur Alter und Geschlecht bestimmt werden. «Es ist auch möglich, Krankheiten abzulesen», sagt Hubmann. Historisch erwiesen ist, dass die dem Nationalheiligen der Franken geweihte Kirche vor 842 belegt war. «Flims hatte also schon im karolingischen Reich das Pfarrrecht, durfte Taufen und Bestattungen durchführen», sagt Hubmann. Das erklärt auch die grosse Anzahl Gräber, die das archäologische Team hier freigelegt hat: über 170. 

Datierung schwierig
Was die Archäologinnen jedoch nicht mehr rekonstruieren können, ist das Ausgangsniveau des Friedhofs. Hubmann erklärt es so: «Hier haben wir es mit 1000 Jahre Friedhofsgeschichte zu tun. Durch die konstante Belegung des Friedhofs ist nicht mehr fassbar, wo sich die erste Anlage befand, wo die Gehwege, welches die Bestattungstiefen waren.» Datiert werden konnten die Gräber hingegen gut. Hilfreich waren dafür die Funde hinter der Kirche beim Beinhaus. «In der Neuzeit wurden die Verstorbenen oft in Kleidern, meist im Sonntagsgewand, bestattet», sagt Hubmann, bückt sich und nimmt eins der Artefakte aus einer Plastikschüssel. Den Knopf aus Horn haben die Wissenschaftlerinnen ausgegraben. Hinzu kommen weitere Gegenstände aus Metall und Perlmutt. 

Gedrängter Zeitplan
Noch älteren Datums sind die Grabfunde im südlichen Teil des Kirchgeländes, wo der Liftschacht geplant ist. Sie reichen vom 17. bis ins 9. Jahrhundert zurück. Bis im Herbst sollen die Ausgrabungen abgeschlossen sein, damit die Kirchgemeinde das Herzstück der Renovationsarbeiten bis im November fertigstellen kann: ein architektonisch gestalteter, überdachter Platz beim Kircheneingang. Insgesamt kostet die Sanierung rund drei Millionen Franken. Davon übernimmt die Kirchgemeinde 1,2 Millionen. Entstehen soll in Flims «ein neuer Raum für Begegnung», sagt Ernst Wunderli. Vor Beerdigungen, Konzerten oder Konfirmationen versammeln sich häufig viele Menschen vor der Kirche, die Platz für 280 Personen bietet. «Und wir wollen die Menschen ja nicht im Regen stehen lassen», sagt der Präsident der Flimser Kirchgemeinde mit einem Augenzwinkern. 

Gastgeberin für Bündner Synode
Spätestens zur Bündner Synode im Juni 2026, bei der die Kirchgemeinde Gastgeberin ist, sollen der Lift zur Kirche und die erweiterte Sakristei mit Gemeinschaftsraum erstellt sein. Auch der Kirchenraum erfährt durch die Freilegung des zugebauten Mittelfensters im Chor und der Fresken im Schiff eine sanfte Restauration. Noch ist offen, wie die Funde dokumentiert werden. Die Nachwelt soll auf jeden Fall erfahren, dass in Flims die Geschichte neu geschrieben wird. 

Bedeutung Beinhaus

Im Mittelalter wurden Beinhäuser angelegt, um Platz auf Friedhöfen zu schaffen, die oft innerhalb von Ortschaften lagen. Beinhäuser waren besonders im Mittelalter und in der Barockzeit verbreitet, während sie in reformierten Gebieten während der Reformation oft aufgelöst wurden. Aus Graubünden ist überliefert, dass man bei Zahnschmerzen einen Zahn aus dem Beinhaus nehmen und um den Hals tragen sollte. Beinhäuser gibt es noch in Alvaschein (Mistail), Arvigo, Cumbel, Domat/Ems, Falera, Lumbrein, Poschiavo, Sagogn, Santa Maria di Calanca, Sevgein, Vrin.