Gesellschaft 27. Juni 2024, von Veronica Bonilla Gurzeler

Wenn sich Machtverhältnisse in Bildern widerspiegeln

Rassismus

Wie können Projekte im globalen Süden bebildert werden, ohne eine diskriminierende Bildsprache zu verwenden? Das Hilfswerk Mission 21 setzt sich damit auseinander. 

Ein ausgemergeltes, dunkelhäutiges Kind kauert auf einem schmutzigen Lehmboden und schaut leidend in die Kamera: Mit Bildern dieser Art haben Hilfswerke lange Zeit für Spenden geworben. 

Bei international tätigen NGOs ist in den vergangenen Jahren das Bewusstsein gewachsen, dass es unethisch ist, mit solchen Darstellungen auf Spendenfang zu gehen. «Sie zementieren das Stereotyp der Armen und Bedürftigen, die keine eigenen Ressourcen haben und auf unsere Hilfe angewiesen sind», sagt Claudia Buess, Bildungsverantwortliche bei Mission 21. 

Viele Hilfswerke diskutieren deshalb jeweils intensiv, wie sie Projekte im globalen Süden bebildern können, ohne eine diskriminierende, potenziell rassistische und imperialistische Bildsprache zu verwenden.

Koloniale Verflechtungen

Um die Komplexität der Thematik zu verstehen, ist es laut Buess nötig, die europäische Kolonialgeschichte zu reflektieren. Bei Mission 21, der Nachfolgeorganisation der Basler Mission, engagiert sich die Historikerin seit rund fünf Jahren für die Aufarbeitung der 200-jährigen Vergangenheit. 

In der fortlaufenden Webinar-Reihe «Mission – Colonialism Revisited» beleuchtet das international tätige Hilfswerk seit 2021 die Verflechtungen von Kolonialismus und Kirche. Buess sagt: «Es ist eine Tatsache, dass die Geschichte der kolonialen Überlegenheit, die eine weisse Überlegenheit war, unter dem starken Einfluss der Missionsgesellschaften geschrieben wurde.»

Die Bilder der weissen Über­legenheit leben in uns fort.
Claudia Buess, Bildungsverantwortliche Mission 21

Anti-Rassismus-Trainings

In Workshops zeigte Buess Bilder aus dem Archiv von Mission 21, welche die Herrschaftsbeziehungen zur Zeit des Kolonialismus verdeutlichen – und ein mulmiges Gefühl hervorrufen. Die Bilder zeigen, wie weisse Missionare aus dem Norden «heidnische» Menschen im Süden bekehren, die Perspektive einer europäischen Überlegenheit kommt darin zum Ausdruck.

 «Auch wenn wir heute mit den Partner-Organisationen im globalen Süden gleichberechtigte Beziehungen anstreben, leben solche Bilder in uns fort», ist Claudia Buess überzeugt. Um sich dessen bewusst zu sein, führte Mission 21 unter anderem interne Anti-Rassismus-Trainings durch. 

Tatsächlich besagt eine Grundlagenstudie der eidgenössischen Fachstelle für Rassismusbekämpfung aus dem Jahr 2023, dass struktureller Rassismus in der Schweiz Realität ist. So steht darin: «Rassismus zeigt sich in Werten, Handlungen und Normvorstellungen, die historisch gewachsen sind.» Oft werde er in der öffentlichen Wahrnehmung als «normal» hingenommen oder kaum hinterfragt und präge die Gesellschaft, Unternehmen und Institutionen – auch Kirchen und Hilfswerke.

Scham- und Schuldgefühle

Anzuerkennen, dass auch die Kirche kein rassismusfreier Ort ist, sei nicht ganz einfach, sagt die Theologin Sarah Vecera. Sie ist ist zuständig für den Bereich Rassismus und Kirche in der Vereinten Evangelischen Mission in Deutschland. «Die Menschen in den Kirchen wollen sich doch in Nächstenliebe begegnen und nicht rassistisch sein.» Verfehlungen dieser Art, ob bewusst oder unbewusst begangen, führten zu Scham- und Schuldgefühlen. 

Aus diesem Grund plädiert Vecera dafür, die Antirassismus-Arbeit als seelsorgliche Aufgabe zu verstehen. «Denn wenn Menschen sich beschämt oder ertappt fühlen, haben wir den Auftrag, seelsorglich zu wirken», sagt die Theologin. «Und das ist auch der Fall, wenn People of Color durch strukturellen oder persönlichen Rassismus Schmerz erleben.» Mit dem Verstand allein liessen sich Prägungen und emotionales Geschehen nicht angehen. 

In der Auseinandersetzung mit Rassismus spielen Bilder darum eine wichtige Rolle. Nicht nur persönliche innere, sondern auch die tatsächlichen von Hilfswerken. Laut Claudia Buess gibt es eine einfache Richtlinie dafür, welche Bilder in Ordnung sind, nämlich die Frage: «Würde ich mich selbst wohlfühlen, in einer solchen Situation gezeigt zu werden?»

Leitlinien für ethische Bild- und Textkommunikation

- Darauf achten, verschiedene Menschen zu zeigen, nicht nur Frauen und Kinder, sondern auch Männer, ältere Menschen oder Menschen mit Behinderungen. 

- Frauen und Minderheiten nicht nur in Bildern zeigen, sondern ihre Sichtweisen und Standpunkte auch inhaltlich wiedergeben.

- Versuchen, die unterschiedlichen Personengruppen nicht mit Begriffen wie «sie» oder «diese Leute» zu verallgemeinern..

- Alle Fotos  immer mit Bildunterschriften versehen, ausser es gbit einen konkreten und  berechtigten Grund, dies nicht zu tun.

- Regionen, Orte oder Gemeinden wenn möglich exakt benennen.

- Es vermeiden,  Spenden als einzige Lösung für die Probleme der Armut und der Ungelichheit darzustellen.

- Nicht die Idee vermitteln,  Hilfe sei die Lösung für alle Krisensituationen, sondern Nuancen, Komplexität und zugrunde liegende Ursachen und Wirkungen darstellen.

-  Bei Bildern von Menschen in Krisensituationen nicht auf das Leid eines einzelnen fokussieren, stattdessen die Ursache für die Situation darlegen.

- Werden Szenen inzeniert, sollte die Realität nicht verfälscht werden. 

- Kommen Models oder Schauspieler zum Einsatz, soll dies erwähnt werden.

Quelle: Mission 21