Glaube 11. April 2024, von Christian Kaiser

Wünschen hilft

Manifestieren

Spirituelle Leader sind einhellig der Ansicht, dass Manifestieren funktioniert, wenn ein paar Regeln beherzigt werden. Als Begründung wird zuweilen die Quantenphysik beigezogen.

Oprah Winfrey, die US-Talkshow-Masterin, ist ein bekennender Fan des Manifestierens: «Man kontrolliert vieles über die Gedanken», sagte sie in einem Gespräch mit dem Linkedin-CEO Jeff Weiner. «Als ich das herausgefunden hatte, fragte ich mich: Was kann ich noch alles manifestieren? Denn ich habe gesehen, dass es funktioniert.» Manifestation ist also eine Art von Glauben an die selbstverwirklichende Kraft der menschlichen Gedanken.

Auf ihrer Website liefert Winfrey auch Regeln, damit sich Wünsche realisieren. Die wichtigsten: Kenne deine Ziele, bitte um ihre Erfüllung und fang an zu handeln.

Ein grosses Geschäft

Klingt nach gesundem Menschenverstand. Offensichtlich steckt jedoch viel mehr dahinter: Winfrey steht auf der britischen Watkins-Liste der weltweit einflussreichsten spirituellen Führer auf Platz acht, viele der in ihre Show geladenen Gäste schwören ebenfalls auf die Kunst des Manifestierens, ihre Bücher erzielen Millionenauflagen.

Eckhart Tolle zum Beispiel ist auf Youtube mit zahlreichen Beiträgen rund ums Manifestieren präsent. Auf seiner eigenen Website bietet er eine Miniserie und einen Bildungsgang an: Dort lernt man etwa, «wie man seine tiefsten Wünsche realisiert, seine wahre Bestimmung findet und lebt, Hindernisse auf dem Weg beseitigt und der universellen Intelligenz erlaubt, sich durch einen auszudrücken».

Nicht ohne Talent

Tolle, der sich mit seinem Vornamen auf Meister Eckhart bezieht, einen christlichen Mystiker aus dem 13. Jahrhundert, ist ziemlich bibelfest. Und er zitiert gern mit eigenen Worten aus dem Evangelium, um zu unterstreichen, dass dort mehrfach auf das wunscherfüllende Prinzip verwiesen werde: Wer bittet, dem wird gegeben; wer klopft, dem wird aufgetan; bittet, als hättet ihr schon empfangen. Tolle formuliert zwei Voraussetzungen, damit das Bestellte vom Universum auch geliefert wird: Der Wunsch muss im Bereich des Möglichen liegen, und man muss mit Freude Schritte in die richtige Richtung unternehmen. 

Sich zum Olympiasieg im Weitsprung zu manifestieren, ohne bereit zu sein, hart zu trainieren, könne nicht funktionieren, selbst wenn man noch so fest daran glaube. Und wer völlig talentfrei singe, könne schlecht zum Gesangssuperstar werden, sagt der kleine Mann mit seinem schelmischen Lachen.

Vor dem Papst

«Die Wünsche, die im Bereich des Möglichen liegen, soll man sich auf keinen Fall von anderen ausreden lassen», sagt Tolle, der ein wenig an den weisen Meister Yoda aus «Star Wars» erinnert. Hätte Tolle auf andere gehört, hätte er sein Bestsellerbuch «Jetzt» nie geschrieben, weil ihm viele prophezeiten, es werde garantiert ein Flop.

2011 hat es ihm – nach einem Auftritt in Oprah Winfreys Show – Rang eins unter den spirituellen Führern weltweit beschert, noch vor dem Dalai Lama und dem Papst. 2023 lag Tolle in der Watkins-Rangliste knapp hinter den beiden auf Platz vier.

Wurzeln gehen weit zurück

Die Grundzüge des Manifestierens sind uralt, sogar älter als das Christentum. Viele Weisheitslehrer, die in der Tradition des Yoga stehen, sind überzeugt vom menschlichen Potenzial, via Gedankenkraft die Realität zu verändern.

Um zu beweisen, dass sich dahinter eine uralte spirituelle Wahrheit verbirgt, verweisen die Yogi-Gurus jeweils auf Textstellen in den altindischen vedischen Schriften. Etwa: «Am Anfang war der Wunsch, welches der erste Samen des Geistes ist; die Weisen haben meditierend in ihren Herzen die Verbindung zwischen dem Existierenden und dem Nichtexistierenden gefunden», so steht es in der Rigveda, einem der ältesten hinduistischen Texte, der mindestens 3500 Jahre alt ist.

Jesus und Buddha

Deepak Chopra etwa ist seit Jahrzehnten einer der angesehensten Vertreter einer Zunft, die modernste wissenschaftliche Erkenntnisse mit yogischen Meditationstechniken verknüpft. Der Medizinprofessor aus Kalifornien hat über 90 Bücher geschrieben, darunter eines über Jesus und eines über Buddha, etliche haben den Status als «New York Times»-Bestseller erreicht. Er figuriert derzeit auf Platz 17 der einflussreichsten spirituellen Führer.

Für Chopra existiert ein universelles Gesetz von Wunsch und Absicht: Demnach beinhalten unsere Intentionen bereits die Mechanismen zu ihrer Erfüllung. Chopra verquickt Quantenphysik und spirituelle Praktiken, um zu erklären, wie das möglich sein soll.

Der Samen der Intention

Das Quantenfeld bestehe nur aus Energie und Information und sei bloss ein anderes Wort für das Feld des reinen Bewusstseins und unendlichen Potenzials. Deshalb sei das menschliche Bewusstsein auch dazu in der Lage, die Energie und den Informationsgehalt auf Quantenebene zu verändern – nicht nur jene im eigenen physischen Körper, sondern auch in allen weiteren Körpern der Umwelt und der Welt.

Wer also einen Intentionssamen ins Feld des reinen Potenzials pflanze, könne seine eigenen Wunschpflänzchen wachsen lassen – mit derselben Kreationskraft, wie sie in einer Apfelblüte, einem Grashalm, einer Körperzelle am Werk sei. Der Erfolg ist bei Superstar Chopra aber leider noch von sechs weiteren spirituellen Gesetzen abhängig, unter anderem vom Gesetz des Loslassens, des Nichtanhängens an der physischen Welt, der Nichtfixierung auf ein bestimmtes Resultat.

Tiefpunkte gehören dazu

Will heissen: Es geht auch ohne Traumwohnung, Traumberuf oder Traumpartner, vielleicht hat das Universum sogar noch etwas Besseres für uns parat, als wir uns vorstellen können. Zudem gehöre es eben auch zu den universellen Gesetzen, dass der Mensch bei seiner persönlichen Evolution immer wieder an Grenzen und Tiefpunkte stosse, wie Chopra in einem neueren Buch darlegt.

Der heute wohl meistgestreamte Guru mit yogischem Hintergrund ist der Inder Sadhguru, die Nummer fünf auf der Liste der 100 wichtigsten spirituellen Führer. Auch von ihm kursieren im Netz unzählige Videos zum Thema Manifestation. Und in seinem Bestseller «Inner Engineering» liefert er eine Anleitung, wie man sein Schicksal selbst bewusst neu schreibt. Das setzt für ihn voraus, zuerst einmal die Kontrolle über Gedanken und Emotionen zu gewinnen und zu behalten. 

Narzissmus verboten

Wunschgemäss verlaufen werde auch dann nicht alles, dafür gebe es «zu viele nicht beeinflussbare Variablen». Es bringe nichts, sich darauf zu versteifen, dass die Welt sich genau nach den eigenen Plänen entwickle: «Zu wollen, dass alles nach dem eigenen Willen geschieht, ist der Weg der Eroberung, der Tyrannei, des Diktators.»

Das Manifestieren ist somit ganz bestimmt keine Wunscherfüllungsmaschine für narzisstische, selbstsüchtige Begehren der Menschen.