Sie leben seit 1986 in der Gemeinschaft von Taizé, seit Dezember 2023 sind Sie Prior. Was hat sich durch die neue Rolle für Sie geändert?
Ich hoffe, nicht viel. Mir ist es sehr wichtig, mich selbst sein zu können und nicht jemand zu werden aufgrund einer neuen Rolle. Die wichtigste Aufgabe des Priors von Taizé ist es, stets im Dienst der Gemeinschaft zu handeln. Ich höre den Brüdern zu, und die Tür meines Zimmers steht stets offen. Und dabei versuche ich zu vermeiden, ein fixes Bild von einem Menschen zu haben und stets offen für neue Erkenntnisse über ihn zu sein.
Wie war Taizé 1986? Und was ist es heute?
Wir sind eine universellere Gemeinschaft geworden. Nicht nur die Brüder, alle hier kommen aus vielen Weltregionen. Stark verändert hat sich zudem der Zeitgeist. Vor und nach dem Fall der Mauer war eine Zeit, in der wir Optimismus schöpften, es folgte eine Zeit der Stabilität. Heute haben wir viel mehr Sorgen, vor allem seit der Pandemie. Mit den Kriegen in Europa und im Nahen Osten realisieren wir, dass sich der Frieden, von dem wir dachten, dass er endlich da ist, extrem verletzlich ist. Man fragt sich: Hat er überhaupt je existiert?
Spüren Sie diese Sorgen im Alltag von Taizé?
Sie werden in den Gesprächen mit den Jugendlichen sehr deutlich. Sie haben viele Ängste. Der Klimawandel, die Krisen und die weltweite Ungerechtigkeit sind in ihrer Gedankenwelt sehr präsent. Das Schöne ist: Ich spüre ihr starkes Bedürfnis, etwas dagegen zu tun. Das ist grossartig. Aber unsere Aufgabe ist es nicht, ihnen zu sagen, was zu tun ist, sondern ihnen zu helfen, ihre Ideen zu entdecken, die bereits in ihnen stecken. Diesen Sommer sind wieder viel mehr Jugendliche zu uns gekommen. Sie sehnen sich nach Gemeinschaft und verstehen, dass sie nicht allein sind in der Welt.