Das Jodelchörli singt von der Bergarve und vom Frühling im Bergwald: «Jetzt wird's Läbe wieder siege und de Winter de mues goh.» An den Ständen stehen Kaffee und «Aargauer Rüeblichueche», jüdischer Zopf und türkische Spezialitäten wie Börek und Süssgebäck bereit für die geladenen Gäste und Neugierigen, die ihre Schirme aufspannen. Denn zur Einweihung schenkt der Himmel den Hauptdarstellern an diesem Event einen Regensegen: Acht Beete stehen hier heute im Mittelpunkt, jedes ist einem Thema gewidmet und entsprechend beschriftet; Zierpflanzen, Gräser, Heilkräuter, Nutzpflanzen, Getreide, Färberpflanzen und Stachliges wie Disteln oder Brombeeren. Und Im Biotop-Beet mit Wasserpflanzen gleich am Eingang des Parks zum Alten Friedhof in Aarburg ziehen die Regentropfen Kreise rund um die Seerosen und die spriessenden Schilfrohre.
Ein neuer Hauch vom Paradies weht im Alten Friedhof Aarburg
Der frisch eingeweihte Garten stellt nicht nur einen Bezug zu religiösen Traditionen und heiligen Schriften her, er will auch das Verbindende zwischen den Religionen betonen.
Vom 22. April an haben Freiwillige in einer letzten Etappe gepflanzt und gesät und getränkt. Einiges ist seither gut gewachsen, etwa der Weizen und der Dinkel, und das Resultat aller Vorbereitungen und Anstrengungen – angefangen die Beete anzulegen hat man schon vor über einem Jahr – ist jetzt zu begehen und zu bestaunen: der erste Religionsgarten der Schweiz. Das Ziel: Er soll ein Ort der Begegnung zwischen Menschen mit verschiedener kultureller, religiöser und weltanschaulicher Herkunft sein. «Nach diversen öffentlichen Workshops und Diskussionen kamen wir weg vom ursprünglich geplanten rein christlichen Bibelgarten und einigten uns auf einen weltoffenen Religionsgarten», sagt der Initiant und Vereinspräsident Markus Bill aus Dulliken.
Ohne Getreidegräser kein Brot
Die Initialzündung für die Idee zur Wiederbelebung des brachliegenden Alten Friedhofs in Aarburg verschaffte Markus Bill eine Besichtigung des Bibelgartens in Gossau SG. Zwölf Jahre und unzählige Sitzungen und Verhandlungen ist das her, die ursprüngliche Vision nahm nach und nach Gestalt an. Die Einteilung in Aarburg ist dem Gossauer Garten nachempfunden, und dieser basiert wiederum auf dem Klosterplan des Klosters St. Gallen; er ist 1200 Jahre alt und enthält einen der ältesten existierenden Gartenpläne, mit einem Kräutergarten, der im Innern aus zwei mal vier Kräuterbeeten besteht. So ist indirekt also auch etwas uralte klösterliche Tradition in dieses Projekt eingeflossen. Das macht Sinn, denn die Mönche gelten als die ersten Gärtner überhaupt. Sie legten Beete für Kräuter und Nutzpflanzen an und versuchten, im Innern des Kreuzgangs auch ein irdisches Abbild des himmlischen Paradieses anzulegen.
«Ein kleines Paradies auf Erden» verspricht nun die gut gemachte und sehr umfangreiche Webseite den Besucherinnen und Besuchern. Auf www.religionsgarten.ch lassen sich nicht nur Beet für Beet Beschriebe der Pflanzen im Garten nachlesen, sondern auch Bibelstellen aus dem Neuen und Alten Testament und dem Koran. Die Zitate aus den Schriften geben jeweils Quellen an für die Auswahl der Kräuter, Sträucher und Blumen. «Du, nimm dir Weizen, Gerste, Bohnen, Linsen, Hirse und Dinkel (Spelt); tu sie zusammen in ein Gefäss und mach dir Brot daraus» (Ezechiel 4,9) heisst es etwa beim Beschrieb des Getreidebeets.
Kräuter und Gemüse im Koran
Ein mehrköpfiges Pflanzenteam hat die Bibel und den Koran durchforstet und 80 Pflanzensorten ausgesucht und beschrieben, die in den Heiligen Schriften vorkommen. Die Angaben dazu auf der Webseite sind ein wahrer Fundus, da stecken viele Stunden Freiwilligenarbeit dahinter. Dabei federführend war die Theologin Maria Brun. «Wir haben nur Pflanzen gesetzt, die in den Heiligen Schriften vorkommen, und auch nur solche, die in unser Klima passen», sagt Brun. Zusammen mit einer Alttestamentlerin hat Brun auch die Bibeltexte ausgewählt und Bedeutung, Herkunft und Verwendung recherchiert. «Da steckt rund ein Jahr Arbeit drin, und ich würde gern ein Buch dazu machen», sagt Brun.
Mit im Team war mit Kerem Adigüzel auch ein muslimischer Vertreter. In der ausgewählten Stelle aus dem Koran zum Nutzpflanzenbeet heisst es: «... so bitte deinen Herrn darum, uns das hervorzubringen, was aus der Erde entsprießt, wie Kräuter, Gurken, Knoblauch, Linsen und Zwiebeln.» Seit sie das weiss, schnetzelt Regula Eichelberger vom Vorstand die Gurken anders; im Bewusstsein, dass sie im Koran erwähnt wird.
Die allseits verehrte Rose
Ein weiterer islamischer Vertreter steht etwas einsam an der Friedhofsmauer: ein Feigenbaum, Station neun – ihm scheint es gut zu gehen, ganz im Gegensatz zur Stechpalme im Beet nebenan, die eingegangen ist, bereits zum zweiten Mal. Auch die Olive im Beet vier hat ihren festen Platz im Koran. Imam Ramazan verweist als Quelle auf die At-Tin-Sure. Dort steht ein Schwur Allahs: «Beim Feigenbaum und beim Ölbaum und beim Berge Sinai und bei dieser sicheren Ortschaft! Wahrlich, Wir haben den Menschen in bester Form erschaffen.»
Neben Feige und Olive kommt auch der Dattelpalme im Koran eine grosse Bedeutung zu. Diese heiligen Früchte werden auch für das Fastenbrechen nach dem Ramadan benutzt. Im Islam eine grosse Rolle spielt auch die Rose, türkisch gül, sie steht als Metapher für den Propheten Mohammed – und hat so etwas mit der christlichen Gottesmutter gemeinsam; die Rose, in Beet sieben weissblühend mit einem Hundsrosenstock vertreten, gilt auch als ein Erkennungszeichen von Maria und steht in Weiss für ihre Reinheit.
Dialog und Geselligkeit
Die Vertreter der Moschee in Aarburg sind mit Elan dabei bei diesem Projekt. «Wir fanden die Idee von Anfang an super und sagten sofort zu mitzumachen», sagt Orkun Koncak vom Vorstand der Aargauer Moschee. Die türkischen Männer verbreiten gute Laune, dass heute nicht nur Muttertag ist, sondern in der Heimat gerade eine richtungsweisende Präsidentenwahl stattfindet, trübt die Stimmung nicht. «Politik ist bei uns eine Rote Linie, darüber sprechen wir nicht, wenn wir in die Moschee gehen.» Die türkischen Backwaren, zum Beispiel Börek und Sesamringe, kommen an und man kommt ins Gespräch. «Mit unserer Beteiligung am Garten wollten wir ein Zeichen setzen, dass wir immer auch offen sind für den Dialog», sagt Ferhat Dodurga, der Sekretär der Aarburger Muslime.
Und so kommen hier zur Einweihung am 14. Mai 2023 in diesem Garten erstmals nicht nur Christen, Jüdinnen und Muslime zusammen sondern auch deren Essenstraditionen, die in Bezug stehen zu den in den Heiligen Schriften erwähnten Nutzpflanzen. Und das alles begleitet von traditioneller Schweizer Jodelmusik mit starkem Naturbezug. Alles in allem ein stimmungsreiches, hoffnungsfrohes Pflänzchen, das hier in Aarburg präsentiert wurde, eines das Wachsen soll zu etwas Grösserem. Ganz nach dem Refrain des anfangs angestimmten Jodellieds: «Das Leben wird wieder siegen.»
Das Konzept: Ein Religionsgarten, kein Bibelgarten
Bibelgärten gibt es im deutschsprachigen Raum rund 180. Religionsgärten nur wenige. In Köln oder Recklinghausen etwa und jetzt in Aarburg. Der Entscheid, einen Religionsgarten anzulegen statt einen Bibelgarten, sei ein Glücksfall für alle Beteiligten gewesen – und sei jetzt auch eine Bereicherung für das Publikum, betonen die Initianten Markus Bill und Regula Eichelberger unisono. Denn: Viele der präsentierten Pflanzenarten haben in mehreren Weltreligionen eine Bedeutung.
«Und so hatten wir vom Projektteam Gelegenheit, nicht nur viel über Symbolik und Nutzung der ausgewählten Pflanzen zu erfahren, sondern lernten nebenbei auch noch einiges über die anderen Religionen», sagt Markus Bill. Mit den «anderen» sind allerdings "nur" die beiden weiteren abrahamitischen Religionen gemeint, das Judentum und der Islam. Der Hinduismus oder der Buddhismus, in welchen Blumen und Blüten in Symbolik und Ritualen ebenfalls eine grosse Rolle spielen, sind bei dem Projekt nicht vertreten.
«Unser Anliegen war es, das Verbindende zwischen den Religionen zu betonen, nicht das Trennende, und dass das funktioniert merkten wir schon in den Arbeitsgruppen», sagt auch Regula Eichelberger vom Vorstand. Man habe zum Projektbeginn schweizweit nach Kooperationspartnerschaften gesucht, auch hinduistische oder sikhistische Gemeinschaften angeschrieben. «Weil das Echo bescheiden war, haben wir uns dann auf eine lokale Lösung beschränkt, unter Einbezug der grünen Moschee in Aarburg und der kantonalen christlich-jüdischen Arbeitsgemeinschaft.»
Im Augenblick stellt die Stadt Aarburg dem Verein als Pächter 200 Quadratmeter mit einem zehnjährigen Pachtvertrag gratis zur Verfügung. Eine Erweiterung aufs Doppelte ist für eine zweite Phase geplant. Und wer weiss, vielleicht werden dann ja auch die vertretenen Religionen erweitert – im Religionsgarten in Köln zumindest sind auch Hindus und Buddhistinnen botanisch vertreten. Und dort hat sich der Initiant Markus Bill auch für den Aarburger Religionsgarten inspirieren lassen. Die Basis des Kölner interreligiösen Gartens bildet ein Klostergarten der Jesuiten – «Impulse für den Dialog» lautet sein Motto. Die Bibelgärten sind in einem Bibelgarten-Netzwerk gut untereinander vernetzt. Markus Bill plant, die internationale Bibelgartentagung 2026 erstmals in die Region Aarburg zu bringen.
Der Religionsgarten in Aarburg lässt sich ab sofort besuchen, entweder physisch vor Ort oder virtuell im Internet: www.religionsgarten.ch
Adresse: Park im Alten Friedhof, Oltnerstrasse, 4663 Aarburg (gleich neben der Bushaltestelle «Alter Friedhof»)
Ein Verzeichnis weiterer Bibelgärten aus Österreich, Deutschland und der Schweiz findet sich hier: www.bibelgarten.info