Recherche 03. März 2022, von Sandra Hohendahl-Tesch

Anstrampeln gegen die Untätigkeit

Diakonie

Auch im Chrischtehüsli im Kreis 4 ist die infolge der Pandemie gestiegene Armut spürbar. Leiter Emmanuel Parvaresh will helfen und hat sich ein Fitnessprogramm ausgedacht.

Patrizia ist gerade dabei, einen alten Drucker in seine Einzelteile zu zerlegen. Das Sortieren von Schrott gehört genauso zu ihren Aufgaben wie neuerdings das Reparieren von Fahrrädern. Fünf Velos stehen auf dem Innenhof vor ihr. Zusammen mit Daniel und Mauro wird sie diese heute fahrtauglich machen. «Bei diesem fehlt nur ein Pneu», sagt sie und zeigt auf ein rotes Exemplar, das in der Sonne glänzt. Seit 30 Jahren gibt es das Chrischtehüsli im Zürcher Kreis 4. Drogenkranken und Alkoholsüchtigen, Obdachlosen und Asylsuchenden wird hier auf unbürokratische Art geholfen. Ihnen wird ein kostenloses Mittagessen gekocht. Zudem erhalten sie die Möglichkeit zu duschen. Die Gäste können sich die Haare schneiden lassen oder einfach ein bisschen ausruhen. «Jetzt sind wir auch eine Velobörse», sagt Emmanuel Parvaresh, der das Haus leitet, und lacht.

Für Körper und Geist

Die Idee für das neue Projekt entstand vor gut einem Jahr. Velofahren ist gesund und hält fit. Viele der Gäste, wie Parvaresh die Randständigen liebevoll nennt, haben keine Arbeit, essen ungesund, sitzen viel rum. «Sie wollen wir motivieren etwas für Körper und Geist zu tun.»

Im letzten Frühling wuchsen die drei eingangs erwähnten, tüchtigen Freiwilligen zum Team zusammen. Sie nehmen die gespendeten Velos entgegen, flicken und warten sie, besorgen bei Bedarf auch Ersatzteile. Für jedes Fahrrad überlegt sich  Parvaresh mit seinem Team einen passenden Empfänger. Häufig seien die Beschenkten Flüchtlinge, die in ihrer Heimat noch nie auf einem Velosattel gesessen seien und das Fahren zuerst lernen müssten.

Harte Arbeit, wenig Geld

60 bis 80 bedürftige Menschen suchen täglich das Haus an der Cramerstrasse 11 auf. An diesem Vormittag herrscht in den Räumen bereits viel Betrieb. Giuseppe wärmt sich bei einer Tasse Kaffee auf und lässt sich gern auf ein Gespräch ein. Am frühen Morgen sei er als selbstständige Reinigungskraft im Einsatz gewesen. Er arbeite hart, nehme jeden Job an, den er bekomme, doch das Geld reiche nicht zum Leben.  

Wie ihm geht es vielen. «Die Armut in Zürich hat mit der Pandemie massiv zugenommen», bestätigt Parvaresh. Auch immer mehr Familien seien betroffen, die man mit Essen und Kleidern – und wenn möglich mit Velos – versorge.

Auf der Suche nach Platz

Gegründet wurde das Chrischtehüsli 1991 von Parvareshs Frau Hanna Glauser. In jener Zeit waren es ausschliesslich Drogensüchtige, welche von der christlichen Einrichtung profitierten. Ein mittlerweile verstorbener Junkie gab dem Haus seinen Namen, weil er die Christen und ihren Einsatz auf dem Platzspitz schätzte. Heute suchen neben Suchtkranken vor allem Flüchtlinge Unterstützung. Wie die beiden Frauen aus dem Iran, die gerade Gemüse für einen Eintopf rüsten. Beide sind abgewiesene Asylsuchende und müssen mit nur acht Franken pro Tag über die Runden kommen. Das in den Räumen der Adventgemeinde eingemietete Chrischtehüsli lebt einzig von Spenden und Gaben. «Wir brauchen dringend mehr Platz», sagt Parvaresh. Dabei hat er auch leer stehende Liegenschaften der reformierten Landeskirche im Visier. Seine Vision: Obdachlose und bedürftige Familien unterzubringen, ihnen eine würdige Existenz zu ermöglichen. Und auch das neue Veloprojekt braucht Platz. Denn jeden Tag kommen neue Fahrräder dazu, die untergestellt werden müssen. «Unsere Idee hat sich herumgesprochen», sagt Parvaresh. Sie nehme nun richtig Fahrt auf.