Auch Schweizer Kirchen sollen im Mittelmeer helfen

Migration

Das Netzwerk Migrationscharta ruft die Kirchen auf, sich dem deutschen Bündnis «united4rescue» anzuschliessen.

«Die Not auf dem Mittelmeer geht auch uns Schweizerinnen und Schweizer etwas an», sagt der emeritierte Theologieprofessor Pierre Bühler. Er engagiert sich im Netzwerk Migrationscharta, das in Bern seinen Brief an die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz (EKS) und die Schweizer Bischofskonferenz (SBK) öffentlich machte. Darin heisst es: «Die Kirchen sollen die guten Worte, mit denen sie ihre Solidarität erklären, mit Taten verbinden, die diesen Worten entsprechen.»

Konkret fordern die Initiantinnen und Initianten von EKS und SBK, sich dem im Herbst konstituierten Bündnis «united4rescue» der Evangelischen Kirche Deutschlands EKD anzuschliessen und dieses finanziell zu unterstützen. Zudem sollen sie Kantonalkirchen und Kirchgemeinden animieren, ihrerseits dem Bündnis beizutreten.

Die Ziele von «united4rescue» sind Seenotrettung, keine Kriminalisierung der Flüchtenden, faire Asylverfahren und sichere Häfen. Aktuell sammelt das Bündnis Spenden für ein Schiff, das Flüchtlinge aus dem Mittelmeer retten soll. Möglichst im Frühjahr soll bereits ein hochseetaugliches Schiff auslaufen. Dieses dürfte Schätzungen zufolge mindestens eine Million Euro kosten. Bühler sieht die Schweiz in der Pflicht, zu helfen. Viele Aspekte des Elends im Mittelmeer gingen auf die Missstände in der EU-Migrationspolitik zurück, an der die Schweiz etwa über die Schengen- und Dublinverträge beteiligt sei. «Die Schweizer Kirchen müssen alles in ihren Möglichkeiten Stehende tun, um Leben zu retten und die Not der Geflüchteten zu lindern», sagt Bühler.

Evangelische Kirche Schweiz will Anliegen beraten

Der Theologieprofessor macht keinen Hehl daraus, dass er sich von den Kirchen mehr Engagement in der Flüchtlingsfrage erhofft. An der Basis würden sich zwar viele Menschen einsetzen. «Doch die EKS ist sehr vorsichtig», formuliert er diplomatisch. Ihm fehle die theologische Reflexion der Migrationsthematik und eine «klare Parteinahme für die vielen Menschen, die im Mittelmeer sterben oder in schrecklichen Flüchtlingslagern leben müssen.» Sein Netzwerk setzt sich seit 2015 für eine neue Migrationspolitik mit biblisch-theologischer Perspektive ein.

Eine Antwort auf Ihren bereits im Dezember zugestellten Brief haben die Initiantinnen und Initianten noch nicht erhalten. Bühler betont: «EKS-Präsident Gottfried Locher hat mir jedoch versichert, er nehme das Anliegen wahr, und der Rat werde sich damit befassen»

Dies soll in einer Sitzung Ende Januar geschehen, wie die EKS auf Anfrage mitteilt.  Verschiedene Forderungen des Bündnisses trage die EKS bereits heute mit, betont Pressesprecherin Michèle Graf-Kaiser. So setze sie sich entschieden für sichere Fluchtwege, die Beendigung der Kriminalisierung von solidarischem Handeln sowie faire Asylverfahren ein.

Petition übergeben

Die Präsentation des Briefs erfolgte im Rahmen der Übergabe der Petition «Sterben auf dem Mittelmeer stoppen!» an die Bundeskanzlei. 24'000 Menschen haben die Petition unterschrieben, die als Unterstützung einer Motion der Zürcher SP-Nationalrätin Mattea Meyer konzipiert ist. Sie fordert von Bundesrat und Parlament Massnahmen, damit Menschen in Seenot auf dem Mittelmeer gerettet sowie rasch und dezentral aufgenommen werden. Demnach soll sich die Schweiz am Aufbau eines Seenotrettungssystems beteiligen und für die Verteilung der Geretteten einsetzen. Nachdem der Bundesrat der Motion eine abschlägige Antwort erteilt hat, wird sie der Nationalrat in einer der nächsten Sessionen beraten.

Die Petition soll nun Druck machen. Lanciert wurde sie von den Solidaritätsnetzen Schweiz, «Solidarité sans frontières» und anderen Organisationen. Die Unterschriften stammen aus kulturellen und kirchlichen Kreisen sowie von Menschen, die sich im Asylbereich engagieren. «Die Kirche ist ein wichtiger Akteur, wenn es darum geht, sich für Flüchtlinge einzusetzen», lobte Mattea Meyer an der Pressekonferenz.

Namenlose Tote

36'000 Menschen sollen seit 1993 im Mittelmeer und auf anderen Fluchtrouten ertrunken oder verdurstet oder gar erschossen worden sein. Auf dem Berner Waisenhausplatz wurde das ungeheuerliche Ausmass dieser abstrakten Zahl sichtbar. Die Namen aller Gestorbenen waren auf kleinen, weissen Zetteln geschrieben. Wobei in vielen Fällen der Name gar nicht bekannt ist, sondern neben dem Todesdatum lediglich «ein Mensch aus Syrien» oder «N.N.» stand.

Die Zettel wurden schon einmal am Flüchtlingstag rund um die Berner Heiliggeistkirche gezeigt. Pierre Bühler erzählt: «Viele Menschen waren sehr berührt. Aber es gab auch negative Reaktionen, jemand sagte sogar, es sei gut, dass die Menschen gestorben seien.» Dass der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm wegen seines Einsatzes für das geplante Flüchtlingsschiff gar Morddrohungen erhalten hat, wie er jüngst in einem Interview sagte, stimme ihn nachdenklich. «Umso mehr sollte die Kirche nun ein konkretes Zeichen der Solidarität setzen und das Bündnis «united4rescue» unterstützen.»