Recherche 03. Mai 2022, von Tilmann Zuber/Kirchenbote

Weil eine Spende ein Geschenk ist

Organspende

Am 15. Mai entscheidet das Volk, ob Organe ohne eine vorliegende Zustimmung des Verstorbenen und der Angehörigen entnommen werden dürfen. Die Kirche ist für ein anderes Modell.

Die Schweiz hat ein Problem: Es gibt mehr Menschen, die auf ein Organ warten, als Spendende. Nicht weil Herr und Frau Schweizer sich weigern, sondern weil keine entsprechende Erklärung der Verstorbenen vorliegt. Etliche in der Schweiz warten deshalb vergeblich auf ihr Spenderorgan.

Mit der Vorlage der erweiterten Widerspruchslösung wollen Bundesrat und Parlament dies ändern. Neu wird die Zustimmung vorausgesetzt, wenn der Spender eine Organentnahme nicht ausdrücklich abgelehnt hat und seine Angehörigen keinen Einspruch erheben. Für die Kritiker der Vorlage wie etwa die Ethikerin Ruth Baumann-Hölzle missachtet dies das Recht auf körperliche Unversehrtheit: «Der Einzelne wird zum Organlieferanten des Staates.»

Nächstenliebe ist keine Pflicht

Der Rat der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) plädiert für eine alternative Lösung. Die erweiterte Widerspruchslösung setzt eine generelle Bereitschaft zur Organspende voraus, die ethisch problematisch sei.

«Kein Mensch verdankt sein Leben sich selbst», so die EKS, «sondern das Leben ist ein Geschenk.» Die Organspende müsse deshalb eine Gabe bleiben. Niemand könne aus moralischen Gründen verpflichtet werden, seinen Körper anderen zur Verfügung zu stellen. «Die erweiterte Widerspruchslösung verkehrt die Spende als Akt christlicher Nächstenliebe in eine bürgerliche Solidaritätspflicht.»

Erweiterte Steuererklärung

Um sicher zu sein, dass eine Organspende nach dem Tod dem freien Willen der Spendenden entspricht, schlägt der Rat der EKS das Erklärungsmodell vor. Dieses sieht vor, die Spendenbereitschaft systematisch zu ermitteln. Konkret heisst das: Bei amtlichen Handlungen, etwa beim Erhalt des Führerscheins, bei der ID-Ausstellung oder in der Steuererklärung wird man zur Organspende befragt. Die Zustimmung, die Ablehnung oder keine Erklärung würde dann im Register von Swisstransplant eingetragen.

Die EKS verspricht sich von dieser Variante eine Entlastung der Angehörigen, wenn sie sich nicht am Sterbebett ihrer Liebsten entscheiden müssen. Zudem würde die Gesellschaft für das Thema der Organknappheit sensibilisiert.

Wenn alle überfordert sind

Spitalseelsorgerinnen und Spitalseelsorger kennen die Schwierigkeiten, wenn vom Verstorbenen keine Willensäusserung vorliegt. Die Angehörigen seien in dieser Situation völlig überfordert. Sie stehen unter Schock, trauern und müssen sich gleichzeitig entscheiden, ob man Organe entnehmen darf.

Die Intensivpflegerin Barbara Steiger hat in den 90er-Jahren im Universitätsspital Basel Verstorbene, die für die Organspende vorbereitet wurden, betreut. Der Hirntod einer jungen Patientin etwa war bestätigt, sie wurde künstlich beatmet. Steiger lagerte sie um, wusch sie und sprach mit ihr. «Ihr Körper war jung und lebendig, trotzdem war sie schon hirntot. »

Es war für alle eine Überforderung. Die Familie nahm von der jungen Frau, die zwei Kinder hatte, dann in Ruhe Abschied. Es sei schön gewesen, zu erleben, wie sich die Situation «gut auflöste».

Den Tod nicht verdrängen

Wie steht Steiger zur Organspende? Es sei gut, wenn Menschen sich dazu bereit erklärten, sie selber habe dies auch gemacht. «Es ist traurig, wenn Leute sterben, nur weil es keine geeigneten Spenderorgane gibt. Andererseits gehöre dies zum Leben, «das wir nicht gepachtet haben und das an einem Seidenfaden hängt».

Barbara Steiger respektiert es, wenn Menschen ihre Organe nicht zur Verfügung stellen. Sie findet es wichtig, dass man die Verantwortung für den eigenen Körper übernimmt, sich mit dem Tod auseinandersetzt und mitteilt, was geschehen soll.