Recherche 27. Juni 2023, von Delf Bucher

Basler Missionsschulen: Erfolg mit Schattenseiten

Geschichte

Der Basler Missionar und Grossvater von Hermann Hesse, Hermann Gundert, gilt als Pionier des indischen Schulsystems. Ganz unumstritten ist sein pädagogisches Wirken aber nicht.

Religiös zerklüftet und konfliktbeladen präsentiert sich Indien oft in den Schlagzeilen. Umso mehr überrascht in der südindischen Stadt Thalassery ein Monument. Dort wurde der Missionar Hermann Gundert auf den Denkmalsockel gehoben.

Der Mann mit dem Prophetenbart war in den 1830er-Jahren für die Basler Mission nach Indien ausgezogen, verliebte sich in die regionale Sprache, schrieb das erste Wörterbuch in Malayalam und gilt deshalb mit seiner Bibelübersetzung in diesem Idiom als «Luther von Kerala». 

Schulbildung für alle

Was dem sprachbegabten Grossvater von Hermann Hesse besonders angerechnet wird, ist sein Engagement für das Schulwesen. So stimmt beispielsweise die indische Zeitung «The Hindu» 2021 auf einer ganzen Seite einen Lobgesang auf Gunderts bildungspolitische Pionierarbeit an.

«Mit der Betonung der Schulpflicht und der Einrichtung von Schulen in jeder Gemeinde war eine neue Idee im Bildungsbereich geboren. Die Basler Mission sorgte für gleiche Bildungschancen für Jungen und Mädchen.»

Postkolonialer Blick auf die Missionsgeschichte

Schon lange ist das Forschungsarchiv von Mission 21 eine Fundgrube für Kolonialforscherinnen und Historiker. Besonders in einer Zeit, in der die postkolonialen Studien eine immer grössere Beachtung finden, hat sich Mission 21 als Nachfolgewerk der Basler Mission zur Aufgabe gemacht, sich vertieft mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Claudia Buess, Leiterin Bildungsveranstaltungen von Mission 21, begründet dies so: «Die Aufarbeitung unserer Geschichte ist schon deshalb notwendig, um der westlichen Überheblichkeit auf die Spur zu kommen und Schlüsse aus der Geschichte für die Gegenwart zu ziehen.»

Eine ganze Veranstaltungsreihe setzt sich mit der postkolonialen Vergangenheit auseinander. Das letzte Webinar zu diesem Thema befasste sich mit Missionskindern – sowohl den Kindern der Missionare wie auch der Zöglinge in den Missionsschulen. Die Vorträge und Diskussionen mit Expertinnen und Forschern können im Internet abgerufen werden.

Zur Website von Mission 21 über den Themenschwerpunkt «Mission – Colonialism Revisited»

Der Wikipedia-Eintrag zu Gundert verknüpft dessen pädagogisches Engagement im heutigen Bundesstaat Kerala mit der aktuell höchsten Alphabetisierungsrate Indiens (93,3%). Als nun die indische Historikerin Divya Kannan zu einem Webinar von Mission 21 zugeschaltet wurde, leitete sie ihr Referat mit den Worten ein: «Wir hier in Kerala erinnern uns gerne an die Arbeit der Basler Missionare, insbesondere an Hermann Gundert.»

Für sie ist unumstritten, dass dessen Engagement wie auch das seiner Frau Julie Dubois, die als erstes eine Mädchenschule gründete, nachhaltig zur Demokratisierung des indischen Schulwesens beigetragen hat. 

Rückständig und unzivilisiert

Aber die Forscherin will auf einige Risse im scheinbar makellosen Bildungsidyll aufmerksam machen. Denn Gundert und andere Basler Missionare verstauten eine gehörige Portion europäisch-rassistisches Überlegenheitsdenken in ihr geistiges Reisegepäck.

Von vornherein war klar: Die konvertierten indischen Christen sollten nicht Brüder und Schwestern auf Augenhöhe sein. Gut illustriert dies der Umstand, dass Heiraten zwischen christlich bekehrten Frauen und den Missionaren strikt verboten waren. «Rückständig, abergläubisch und unzivilisiert», sagt Kannan, sahen die europäischen Glaubensboten die indische Bevölkerung.

Die Historikerin wies darauf hin, dass neben dem Erlernen einiger grundlegende Kulturtechniken wie Schreiben und Rechnen ein erheblicher Teil des Tagesablaufs durch unbezahlte Arbeit bestimmt wurde. Bilder im Archiv der Basler Mission zeigen Mädchen beim Nähen, beim Kochen, beim Hüten der Kinder oder Buben beim Ernten von Kokosnüssen.

Allein im Missionshaushalt von Hermann Gundert und seiner Frau Julie Dubois waren acht Mädchen beschäftigt. «Mit der unbezahlten Arbeit trugen die Kinder erheblich dazu bei, die prekären Finanzen der Missionsstationen zu stabilisieren», sagt Divya Kannan. Arbeit sei notwendig gewesen und gleichzeitig eingebunden worden in ein missionspädagogisches, pietistisches Konzept, welches die Arbeit zur christlichen Tugend stilisierte.

Mit der unbezahlten Arbeit trugen die Kinder erheblich dazu bei, die prekären Finanzen der Missionsstationen zu stabilisieren.
Divya Kannan, Historikerin

Kommt hinzu: Mit der frühen Einübung in die Arbeitsdisziplin wuchsen gute Arbeitskräfte heran, um später in den Ziegeleien und Webereien der Basler Mission zu arbeiten. Übrigens waren die Missionsfabriken oft die einzige Beschäftigungsmöglichkeit, da die Konvertierten von der Kastengesellschaft vom traditionellen Arbeitsmarkt ausgeschlossen wurden.

Kastenwesen nicht gesprengt

Der hehre Grundsatz der Basler Mission, das Kastenwesen aufzuheben, liess sich auch in den Schulen nicht durchsetzen. Kinder aus höheren Kasten weigerten sich mit den Kindern der Unberührbaren die Schulbank zu drücken. Für die Kinder der Elite gab es deshalb Missionsschulen mit einem ausgeweiteten Curriculum, das besonderen Wert auf das Erlangen der englischen Sprache legte.

Gerade die Unterschichtskinder wollten gerne Englisch erlernen, das gleichsam als Eintrittsbillett für einen sozialen Aufstieg in der kolonialen Gesellschaft galt. Kenntnisse im Englischen wurden aber nur rudimentär unterrichtet. Die viele unbezahlte Handarbeit stellte den Kindern wiederum vor Augen, dass sie den anderen Kindern gegenüber untergeordnet waren.

Züchtigung war gang und gäbe

Auflehnung gegen die Schule war so keine Seltenheit, wie umgekehrt der züchtigende Einsatz des Rohrstocks den Schulalltag prägte. Brutal, ja sadistisch, hat der Missionar mit dem symbolträchtigen Namen Eckelmann die Erziehungsmaxime, den «Willen des Kindes zu brechen», umgesetzt. Er streute zuerst heisse Asche auf die Hände der zu Disziplinierenden und schlug sie dann mit dem Stock. Andererseits ist zu sagen, dass auch für die Kinder der Missionare im Kinderhaus in Basel die züchtigende Erziehungsmethoden gang und gäbe waren.