Recherche 29. April 2016, von Nicola Mohler

Zwischen Mission und Nächstenliebe

Flüchtlinge

Freikirchen wird vorgeworfen, sie würden unter dem Deckmantel der Flüchtlingshilfe missionieren. Ein Besuch beim Deutschunterricht.

Die einen üben deutsche Namen von Kleidungsstücken mit dem Spiel «Ich packe meinen Koffer». Die anderen sprechen im Chor der Lehrerin verschiedene Früchte nach. Rund fünfzig Männer und fünfzehn Frauen aus Eritrea, Syrien, Afghanistan und Irak besuchen in der Basler Lehenmatthalle an diesem Nachmittag den Deutschunterricht der Freikirche ICF (International Christian Fellowship) Basel.

Was im Januar 2015 mit vier Schülerinnen und Schülern begann, ist inzwischen zu einem Kurs angewachsen, den zeitweise bis zu achtzig Personen besuchen. Um den Andrang zu bewältigen, sind fast zwanzig freiwillige Lehrer im Einsatz. Einer von ihnen ist Andy Bäumler, Leiter der sozialen Initiativen bei ICF. Er kennt den Verdacht gegen Freikirchen in ihrem Engagement für Flüchtlinge aus den Medien. «Beim Deutschkurs geht es um Nächstenliebe, nicht um Mission», sagt Bäumler.

In den Schlagzeilen. Freikirchen sind medial immer wieder unter Missionsverdacht geraten: «Evangelikale missionieren bei Asylsuchenden», titelte der «Tages-Anzeiger». Im Gratisblatt «20 Minuten» war zu lesen: «Freikirchen missionieren in Asylzentren». Jüngst fragte SRF: «Flüchtlingskrise: Schlägt die Stunde der Freikirchen?» Auch Rösli Hirsbrunner von Vineyard Bern kennt das Misstrauen. Sie ist verantwortlich für die Deutschkurse in der Hauptstadt. «Im Sprachunterricht steht die Sprachvermittlung im Zentrum. Da wird nichts verpackt», sagt Hirsbrunner. Gespräche über Religion und Glauben kämen zustande, halt einfach nach der Klasse. So werde teils gefragt, wieso die Lehrerinnen und Lehrer ehrenamtlich arbeiteten, führt Hirsbrunner aus. «Dann erzähle ich von unserem Dienst am Nächsten.»

Wie sollen sich freikirchliche Christen im Umgang mit Flüchtlingen verhalten? Die Schweizerische Evangelische Allianz hat dafür einen Verhaltenskodex publiziert. Dieser plädiert für die Achtung der Meinungs-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Religiöse Pflichten der Begünstigten seien auszuschliessen, genauso wie ein Machtmissbrauch im religiösen Bereich ihnen gegenüber.

Das Wissen fehlt. Im Gespräch mit Flüchtlingen wird klar: Sie schätzen das Angebot sowie den Kontakt zu Mitmenschen, und die wenigsten wissen, was eine Freikirche ist. Hier setzt Religionsexperte Georg Schmid von der Evangelischen Informationsstelle Relinfo ein Fragezeichen. «Für Freikirchen ist die sogenannte Evangelisation, die Werbung für den eigenen Glauben, ein unverzichtbares Element des Christseins. Heute wird Evangelisation in Freikirchen meist so gelehrt, dass zu Interessenten zuerst eine gute menschliche Beziehung aufgebaut wird, bevor die religiöse Botschaft zur Sprache kommt», sagt Schmid.

Vor diesem Hintergrund stelle sich die Frage, wie die Tätigkeit von Freikirchen in Sprachkursen einzuschätzen sei, so der Religionsexperte. «Geht es hier nicht auch um Imagepflege, die später der Evangelisation die Tür öffnen soll? Deshalb wäre es sinnvoll, wenn die Absolventinnen und Absolventen von Sprachkursen bei Freikirchen über deren weltanschaulichen Background informiert wären, sodass sie sich bewusst für oder gegen eine Teilnahme entscheiden können.»