Am 22. August 2014 wurde bekannt, dass in einer Moschee in St. Gallen-Winkeln ein Mann erschossen worden war. In den Medien wurde ein Kenner der islamischen Gemeinschaft zitiert, der die Schiesserei als nicht religiös motiviert bezeichnete. Der Täter sei von anderen Männern in der Moschee überwältigt und der Polizei übergeben worden.
Tödliche Schiesserei begrüsst
Jean-Luc Addor, SVP Nationalrat und Jurist aus dem Walliser Hauptort Sitten, publizierte bald darauf über Twitter und Facebook mit Bezug auf die Schiesserei die Nachricht: «On en redemande !» «Wir bitten um mehr!». Drei Jahre später verurteilte das Bezirksgericht den Nationalrat wegen Rassendiskriminierung zu einer bedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen und 3000 Franken Busse. Das Kantonsgericht Wallis bestätigte den Entscheid.
Vor Gericht kam Addor nach einer Strafanzeige des Islamischen Zentralrats (IZRS). Doch die Behörden müssen bei Verstössen gegen die Rassismusstrafnorm ohnehin von Amts wegen tätig werden. Jetzt hat auch das Bundesgericht wie die Vorinstanzen entschieden. Ein «unbefangener Durchschnittsleser» verstehe den Kommentar als Wunsch nach einer Wiederholung der Tat. Der Leser werde dazu eingeladen, sich über das tragische Ereignis in der Moschee zu freuen.
Angehörige einer Religion diskriminiert
Darin sieht das Bundesgericht einen Ausdruck von Abneigung, ein wesentliches Merkmal von Hass. Dieser sei in diesem Fall klar erkennbar gegenüber den Angehörigen einer bestimmten Religion gewandt und damit als Diskriminierung nach der Rassismusstrafnorm (Artikel 261 bis des Strafgesetzbuches) zu werten.
Das Bundesgerichtsurteil scheint den Juristen nicht zu bewegen. Gemäss einem Bericht von infosperber.ch überlegt sich Jean-Luc Addor zurzeit, ob er das Urteil an den Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg weiterziehen soll. Und auf Facebook schreibt er: «In Europa und sogar in der Schweiz stechen sich Leute nieder und schneiden einander die Kehle durch. Und mich will man zum Schweigen bringen. Auf Anklage einer islamistischen Organisation. Nun, ich werde nicht schweigen!»
Zur Mitteilung des Bundesgerichts über das Urteil 6B_644/2020 vom 14. Oktober 2020 (PDF).