Credit Suisse als Ikarus der Bankenwelt

Wirtschaft

Das reformierte Erbe von Gründervater Alfred Escher trug zum Erfolg der Credit Suisse bei. Was es bewirkte und woran die Bank scheiterte, erklärt Historiker Tobias Straumann.

War Escher gewissermassen ein Banker der ersten Stunde? Die Finanzierung der Eisenbahnen war ja ein äusserst volatiles Geschäft.

Tobias Straumann: Nicht im eigentlichen Sinn, er war nicht operativ im Bankgeschäft tätig, reiste nicht umher und vergab Kredite wie ein damaliger Bankier. In erster Linie war er Politiker. Als Verwaltungsratspräsident der Kreditanstalt gab er die grossen Linien vor. Das Bankbusiness im 19. Jahrhundert war tatsächlich extrem unruhig, es ging rauf und runter, viele Investoren gingen bankrott und hafteten teilweise mit ihren Privatvermögen. Mit der Macht der Zürcher Liberalen im Rücken und angesichts des Aufschwungs der Stadt zur Wirtschaftsmetropole konnte Escher mit der Kreditanstalt rasch zur grössten Schweizer Handelsbank aufsteigen.

Existierten schon vor der Reformation Banken in der Schweiz?

Ja, sie finanzierten den Handel in Europa. Italien war das Zentrum der Bankenwelt, teilweise eng mit dem Vatikan verbunden. Handel, Finanzen und Produktion wurden von den gleichen Unternehmen gesteuert, die Rede ist von den «marchands-banquiers». Zürich, Basel, Genf und St. Gallen gehörten zum Netzwerk. Eine Struktur war also bereits vorhanden, nur logisch, dass die Städter dadurch empfänglicher waren für die reformierte Lebensführung. Sie lehnten die kirchliche Hierarchie ab. Zwingli kritisierte den Ablasshandel. Obwohl er sozial handelte, war er nicht wirtschaftsfeindlich wie Luther im ländlichen Wittenberg. In Zürich konnte Zwingli auf den Rückhalt der Kaufleute und Handwerker zählen, ohne sie hätte er die Reformation nicht durchgebracht.

Bescherte der von Escher initiierte Finanzplatz der Schweiz ihren späteren Reichtum?

Führend war die Schweiz zuerst in der Industrie, der Finanzplatz war im europäischen Vergleich zweitrangig. Vor dem Ersten Weltkrieg etablierte er sich zwar gut, es gab eine Nationalbank, mehrere Grossbanken, eine Börse, die Bankiervereinigung. Mit Paris, Berlin oder gar London konnte er aber nicht mithalten. Erst nach den beiden Weltkriegen stieg er in die oberste Liga auf, was damit zu tun hatte, dass die Schweiz in beiden Kriegen neutral geblieben und nicht erobert worden war. Die CS wurde zur international vernetzten Grossbank, was sie der Schweizer Sonderstellung zu verdanken hatte, nicht Eschers Arbeitsmoral. Dieser hatte all das noch gar nicht auf dem Radar, die Vermögensverwaltung interessierte ihn nicht. Die Grossbanken dienten damals in erster Linie der Industrie.

Mit dem Erfolg wuchsen auch die Gier und damit die Boni ins Unermessliche. Wann kamen die Tugenden, die ehrliche Leistungsbereitschaft, abhanden?

Gier ist zunächst eine urmenschliche Eigenschaft, wovon schon die Bibel zeugt. Speziell am Bankgeschäft indes ist, dass man relativ mühelos viel Geld machen kann, wenn etwa die Börse oder das Kreditgeschäft gut läuft. Die CS war die erste Schweizer Bank, die bereits in den 1980er-Jahren in grossem Stil ins Investmentbanking eingestiegen war. Die amerikanische Kultur, hohe Boni zu verteilen, wurde gern importiert. Rasch machte sich das Ikarus-Symptom bemerkbar: Anstatt sich mit einer nachgeordneten Position zufriedenzugeben, wollten die Schweizer Grossbanken nun ganz oben mitspielen. Diese Hybris der Schweizer Manager war der Hauptgrund dafür, dass die Bank gescheitert ist.

Wie, glauben Sie, wird sich nun der Schweizer Finanzplatz verändern?

Vermutlich werden wir in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurückkehren. Breit aufgestellt, weiterhin international bedeutend, aber eindeutig in der zweiten Liga. Für die Schweiz ist dies allerdings kein Unglück. Gut ausgebildete Bankangestellte werden sich neu orientieren, sie gründen neue Firmen oder wandern ab in andere Branchen, was für die hiesige Wirtschaft von Vorteil ist.

Escher war ein richtiger Workaholic, er arbeitete pausenlos

1905 erschien Max Webers Schrift zur protestantischen Arbeitsethik. Er erklärte den Aufstieg des Kapitalismus auch mit dem Calvinismus: Wirtschaftlicher Erfolg galt als Zeichen der Gnade. Wie wichtig war diese Ethik zu Eschers Zeit?

Die Einstellung zur Arbeit als gottgewollter Lebenszweck spielte eine wichtige Rolle in seiner Zeit. Wobei nicht recht klar ist, ob dies mehr mit der Konfession oder dem urbanen Leben an sich zu tun hatte. In der Schweiz vollzog sich die Reformation vor allem in den Städten und nicht wie in Deutschland mehrheitlich auf dem Land. In der Stadt hatten die Leute schon immer eine andere Arbeitsmoral als auf dem Land, wo es schwieriger war, durch harte Arbeit reich zu werden.

Die Reformierten waren also die Fleissigen, während sich die Katholiken im Müssiggang übten?

Überspitzt gesagt, ja. «Zeit ist Geld» ist eine typisch reformierte Überlegung des amerikanischen Puritaners Benjamin Franklin. Escher war ein richtiger Workaholic, er arbeitete pausenlos. Für die Katholiken galt diese Formel damals nicht, für sie war Zeit einfach nur Zeit. In den katholischen Gebieten gab es auch lange viel mehr Feiertage.

Gab es damals einen Zusammenhang zwischen der Konfession und dem wirtschaftlichen Erfolg?

In der Schweiz blieben die katholischen Gebiete lange deutlich ärmer. Sehr schön zeigt sich das am Beispiel von Appenzell Innerrhoden, das katholisch und landwirtschaftlich geprägt war, und Appenzell Ausserrhoden, das früh reformiert und industrialisiert wurde. Die Arbeit wurde durch die Reformation aufgewertet, nicht mehr als mühsam empfunden. Insbesondere im Calvinismus gilt die Maxime: Wer viel arbeitet und Erfolg hat, wird möglicherweise auch Gnade empfangen. Christen arbeiten für das seelische Heil. Heute spielt die Konfession keine Rolle mehr, UBS-Präsident Colm Kelleher ist gläubiger Katholik, er wanderte 800 Kilometer auf dem Jakobsweg und ist sehr wirtschaftsfreundlich unterwegs.

Die Hybris der Schweizer Manager war der Hauptgrund dafür, dass die Bank gescheitert ist

1856 gründete der reformierte Politiker und Unternehmer Alfred Escher die Kreditanstalt, aus der später die CS wurde. Inwiefern spielte die Konfession eine Rolle, war die CS eine reformierte Bank?

Sehr typisch reformiert sogar. Im 19. Jahrhundert wurde die Industrialisierung zu etwa 90 Prozent von den Reformierten vorangetrieben. Die Bank ist ein Teil dieser Industrialisierung. Sie diente dazu, das Eisenbahnnetz in der Schweiz zu finanzieren, was grosse Finanzmittel in Form von Krediten nötig machte. Escher wollte Zürich zum Wirtschaftszentrum der Schweiz machen, die Vormachtstellung von Basel und Genf brechen. Auf katholischer Seite gab es gar nichts Vergleichbares, alle heutigen Grossbanken in der Schweiz blicken auf eine reformierte Gründung zurück.

Wie lässt sich diese protestantische Handschrift im wirtschaftlichen Kontext lesen?

Als ein unermüdliches Streben nach Fortschritt. Die Reformierten waren im Vergleich zu den Katholiken damals generell wirtschaftsfreundlich. In Zürich war es Alfred Escher, der den Fortschritt wie kein anderer verkörperte, in Basel gab es den Textilkaufmann, Bankier und Politiker Jakob Speiser. Die Katholiken jedoch hatten Mühe mit dem Fortschritt. Sie lehnten die Modernisierung ab, weil sie ihr bis dahin beschauliches Leben durcheinanderbrachte.

Escher setzte sich als Protestant entschieden für die Trennung von Kirche und Staat ein. War das in jener Zeit aussergewöhnlich?

Im Prinzip gab Escher einen typischen reformierten Liberalen seiner Zeit ab. Die Liberalen trieben in den Städten die Trennung von Kirche und Staat voran. Liberale und Radikale waren es dann auch, die 1848 den Bundesstaat gründeten. In den katholischen Kantonen dauerte die Säkularisierung deutlich länger, viele Mittel- und Kantonsschulen waren bis ins 20. Jahrhundert hinein katholisch geprägt. Die katholische Kirche behielt eine starke Kontrolle.

Tobias Straumann, 57

Tobias Straumann, 57

Tobias Straumann ist Ordentlicher Professor für Geschichte der Neuzeit und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Zürich. Sein Forschungs­interesse gilt dem Zusammenspiel von Wirtschaftskrisen, Institutionen und Politik. Auf vielen Kanälen kommentierte er in den letzten Wochen die Übernahme der CS durch die UBS.