War Escher gewissermassen ein Banker der ersten Stunde? Die Finanzierung der Eisenbahnen war ja ein äusserst volatiles Geschäft.
Tobias Straumann: Nicht im eigentlichen Sinn, er war nicht operativ im Bankgeschäft tätig, reiste nicht umher und vergab Kredite wie ein damaliger Bankier. In erster Linie war er Politiker. Als Verwaltungsratspräsident der Kreditanstalt gab er die grossen Linien vor. Das Bankbusiness im 19. Jahrhundert war tatsächlich extrem unruhig, es ging rauf und runter, viele Investoren gingen bankrott und hafteten teilweise mit ihren Privatvermögen. Mit der Macht der Zürcher Liberalen im Rücken und angesichts des Aufschwungs der Stadt zur Wirtschaftsmetropole konnte Escher mit der Kreditanstalt rasch zur grössten Schweizer Handelsbank aufsteigen.
Existierten schon vor der Reformation Banken in der Schweiz?
Ja, sie finanzierten den Handel in Europa. Italien war das Zentrum der Bankenwelt, teilweise eng mit dem Vatikan verbunden. Handel, Finanzen und Produktion wurden von den gleichen Unternehmen gesteuert, die Rede ist von den «marchands-banquiers». Zürich, Basel, Genf und St. Gallen gehörten zum Netzwerk. Eine Struktur war also bereits vorhanden, nur logisch, dass die Städter dadurch empfänglicher waren für die reformierte Lebensführung. Sie lehnten die kirchliche Hierarchie ab. Zwingli kritisierte den Ablasshandel. Obwohl er sozial handelte, war er nicht wirtschaftsfeindlich wie Luther im ländlichen Wittenberg. In Zürich konnte Zwingli auf den Rückhalt der Kaufleute und Handwerker zählen, ohne sie hätte er die Reformation nicht durchgebracht.
Bescherte der von Escher initiierte Finanzplatz der Schweiz ihren späteren Reichtum?
Führend war die Schweiz zuerst in der Industrie, der Finanzplatz war im europäischen Vergleich zweitrangig. Vor dem Ersten Weltkrieg etablierte er sich zwar gut, es gab eine Nationalbank, mehrere Grossbanken, eine Börse, die Bankiervereinigung. Mit Paris, Berlin oder gar London konnte er aber nicht mithalten. Erst nach den beiden Weltkriegen stieg er in die oberste Liga auf, was damit zu tun hatte, dass die Schweiz in beiden Kriegen neutral geblieben und nicht erobert worden war. Die CS wurde zur international vernetzten Grossbank, was sie der Schweizer Sonderstellung zu verdanken hatte, nicht Eschers Arbeitsmoral. Dieser hatte all das noch gar nicht auf dem Radar, die Vermögensverwaltung interessierte ihn nicht. Die Grossbanken dienten damals in erster Linie der Industrie.
Mit dem Erfolg wuchsen auch die Gier und damit die Boni ins Unermessliche. Wann kamen die Tugenden, die ehrliche Leistungsbereitschaft, abhanden?
Gier ist zunächst eine urmenschliche Eigenschaft, wovon schon die Bibel zeugt. Speziell am Bankgeschäft indes ist, dass man relativ mühelos viel Geld machen kann, wenn etwa die Börse oder das Kreditgeschäft gut läuft. Die CS war die erste Schweizer Bank, die bereits in den 1980er-Jahren in grossem Stil ins Investmentbanking eingestiegen war. Die amerikanische Kultur, hohe Boni zu verteilen, wurde gern importiert. Rasch machte sich das Ikarus-Symptom bemerkbar: Anstatt sich mit einer nachgeordneten Position zufriedenzugeben, wollten die Schweizer Grossbanken nun ganz oben mitspielen. Diese Hybris der Schweizer Manager war der Hauptgrund dafür, dass die Bank gescheitert ist.
Wie, glauben Sie, wird sich nun der Schweizer Finanzplatz verändern?
Vermutlich werden wir in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurückkehren. Breit aufgestellt, weiterhin international bedeutend, aber eindeutig in der zweiten Liga. Für die Schweiz ist dies allerdings kein Unglück. Gut ausgebildete Bankangestellte werden sich neu orientieren, sie gründen neue Firmen oder wandern ab in andere Branchen, was für die hiesige Wirtschaft von Vorteil ist.