Recherche 07. April 2022, von Nicola Mohler

Die Stimmen von Frauen in der Kirche hörbar machen

Gleichberechtigung

Im Jubiläumsjahr hat der Dachverband der Evangelischen Frauen Schweiz ein Crowd-Funding gestartet. Die Präsidentin Gabriela Allemann erklärt im Interview, warum.

Am 31. Mai 1947 wurde im Zürcher Glockenhof der Evangelische Frauenbund der Schweiz gegründet – die heutigen Evangelischen Frauen Schweiz. Jetzt im Jubiläumsjahr haben Sie ein Crowd-Funding gestartet. Steht es schlecht um Ihre Finanzen?

Gabriela Allemann: Ja, in der Tat steht es schlecht um unsere Finanzen. In den letzten beiden Jahren haben wir uns intensiv damit auseinandergesetzt, wie wir die finanzielle Lage verbessern können: Wir haben Projektbeiträge beantragt und auch die Mitgliederbeiträge um 50 Prozent erhöht. Nun setzen wir auf ein Crowd-Funding, um möglichst vielen Menschen die Gelegenheit zu geben, uns zu unterstützen. Wir finden diesen partizipativen Ansatz interessant.

Wieso steht Ihnen weniger Geld zur Verfügung?

Unsere zwei grössten Finanzierungsquellen gingen und gehen leider zurück. Auf der einen Seite hat uns die Deutschschweizerische Kirchenkonferenz den Auftrag gegeben, unser Eigenkapital zu senken und hat deshalb bereits vor einigen Jahren ihren Beitrag gesenkt. Wir haben inzwischen den Auftrag erfüllt. Allerdings haben sich in der Zwischenzeit durch die kleiner werdenden Steuereinnahmen in den Landeskirchen die finanziellen Möglichkeiten der Kirchenkonferenz auch verändert. Das heisst, diese Lücke bleibt bestehen. Unsere zweite grosse Finanzierungsquelle ist der Fonds für Frauenarbeit der EKS. Die Kollekten, die den Fonds speisen, waren – insbesondere in den beiden Pandemiejahren – rückläufig. Deshalb erhalten wir auch da einen massiv kleineren Beitrag als bisher.

Evangelische Frauen Schweiz (EFS)

Die EFS sind der Dachverband der reformierten sowie von ökumenischen Frauenverbänden und Einzelmitgliedern. Sie vertreten die Interessen von rund 37'000 Frauen. Die EFS fördern Frauen in Gesellschaft, Kirche und Politik. Sie nehmen aus Sicht evangelischer Frauen Stellung zu aktuellen Fragen. 

Schwerpunkte

Gleichstellung

  • eine bessere Verteilung der unbezahlten Sorgearbeit (Care-Arbeit) zwischen den Geschlechtern.
  • gleichen Lohn für gleiche Arbeit.
  • mehr Weiterbildung und Aufstiegschancen für Frauen im Beruf.
  • ein konsequentes Vorgehen gegen Sexismus und Gewalt an Frauen.

Frauen in der Kirche

  • die gleichberechtigte   Mitsprache und Teilhabe von Frauen auf allen Ebenen der Kirche.
  • dass der Vielfalt an Erfahrungen mit der göttlichen Kraft Rechnung getragen wird, auch in der Sprache.
  • Ökumene und   interreligiösen Dialog.

Soziale Gerechtigkeit

  • ein Leben ohne Armut.
  • die Vereinbarkeit von Erwerbs- und Sorgearbeit und eine gute soziale Absicherung der Frauen, die unbezahlte Sorgearbeit leisten.
  • eine gute Absicherung im   Alter.
  • für Frieden und gegen   Krieg.

Umwelt

  • alle Menschen   gleichberechtigt Zugang zu Ressourcen wie Trinkwasser, Nahrung sowie bezahlbare und saubere Energie haben.
  • in Diskussionen über den   Umweltschutz die Sicht der Frauen nicht vernachlässigt wird.
  • die Umwelt auch für   zukünftige Generationen intakt bleibt.

Wieso ist das Überleben der Evangelischen Frauen Schweiz auch für die Zukunft wichtig?

Es ist wichtig, dass auch in Zukunft jemand die Stimme erhebt für die Frauen aus den reformierten und evangelischen Kirchen. Sonst gehen diese Anliegen in der Diskussion unter und werden nicht angepackt. Leider gibt es weiterhin viele strukturelle Probleme, die eine echte Gleichstellung hemmen und bei denen es Handlungsbedarf gibt. Zum Beispiel verdienen Frauen nicht gleich viel wie Männer, von ihnen wird eine andere Rolle bei der Betreuung von Angehörigen und von Kindern erwartet und sie erhalten oft nur eine sehr kleine Rente. In der Kirche zeigt sich dieses Problem zum Beispiel bei den sehr kleinen Teilzeitpensen von Sigristinnen, Katechetinnen oder Sekretärinnen. Viele von ihnen haben keinen Zugang zu einer Pensionskasse. Hier braucht es unbedingt Verbesserungen.

Aber es gibt natürlich auch starke Rollenbilder, die immer noch nachhallen: Wer kümmert sich in der Kirchgemeinde um das Kirchenkaffee? In aller Regel sind es Frauen, die diese Freiwilligenarbeit leisten. Anerkennung erhalten sie dafür aber oft nicht ausreichend. Viel mehr wird es als selbstverständlich angesehen.

Was haben die Evangelischen Frauen Schweiz in den letzten 75 Jahren bewirkt?

Die EFS haben die Stimmen von Frauen in der Kirche hörbar und ihre Arbeit sichtbar gemacht – auf allen Ebenen. Sie haben sich eingesetzt für eine Stärkung von Laiinnen. So beispielsweise mit dem Weltgebetstag mit der Überzeugung, dass alle in der reformierten Kirche mitreden und mitentscheiden sollen, und jede Stimme das gleiche Gewicht hat. Die ökumenische Zusammenarbeit hat dabei eine wichtige Rolle gespielt.

Mit den anderen Frauendachverbänden zusammen haben sich die EFS seit ihrer Gründung eingesetzt für die rechtliche und faktische Gleichstellung der Frauen – sei es im Einsatz für das Frauenstimmrecht, die Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt und weiblicher Altersarmut.

Das Crowd-Funding der EFS

Wie begehen Sie das 75 Jahre Jubiläum?

Am 14. Mai feiern wir an der Jubiläums-Delegiertenversammlung in Aarau, mit Musik und Einblicken in unsere Geschichte. Für Mai und Juni planen wir die Aktion «Bike for EFS». Wir gehen mit dem Fahrrad zur Arbeit und animieren auch Mitgliederverbände und Einzelmitglieder dazu. Mit dieser Aktion wollen wir auf die Freiwilligenarbeit aufmerksam machen, die so viele Frauen in den Kirchgemeinden und anderswo für unsere Gesellschaft leisten. Wer mitmacht, kann online die zurückgelegten Kilometer registrieren.

Sie präsidieren den Dachverband seit 2019. Was wollen Sie erreichen?

Mir ist es wichtig, dass die EFS wieder auf stabilen Füssen stehen, so dass wir mehr Ressourcen haben, um uns vertieft mit den aktuellen Themen zu befassen.Es gibt ja noch viel zu tun. Etwa die Gestaltung einer Kirche, in der sich alle wohl fühlen, in der alle mitreden und mitentscheiden können. Persönlich ist es mir ein Anliegen, zur gesellschaftlichen Diskussion über ein Leben in Würde für alle beizutragen, egal, woher sie kommen, welches Geschlecht sie haben, wie alt sie sind.  Und ich möchte die Diskussion rund um Freiwilligen- und Care-Arbeit ankurbeln. Damit einher geht die Frage, was wir eigentlich als Arbeit definieren. Weil die Erwerbsarbeit immer wichtiger wird, bleibt weniger Zeit für Freiwilligenarbeit, etwa das Mitwirken in einem Verein, und die Care-Arbeit. Das führt in meinen Augen zu einer gesellschaftlichen Schieflage.  Wie schaffen wir hier für alle ein besseres Gleichgewicht? Diese Frage treibt mich um.

Garbiela Allemann

Garbiela Allemann

Die Theologin ist seit Sommer 2019 Präsidentin der Evangelischen Frauen Schweiz. Zuvor war sie elf Jahre lang Pfarrerin in Münsingen. Sie lebt mit ihrer Familie in Olten.