Recherche 05. Juli 2021, von Mayk Wendt

Renovationsprojekt in Schiers spaltet die Kirchgemeinde

Kirchenrenovation

Den Wiedererwägungsantrag lehnte die Kirchgemeinde Schiers ab: die Renovation wird umgesetzt und die historische Metzler-Orgel muss ihren Platz räumen.

Zwei Jahre nach einer ersten Abstimmung, kamen am 17. Juni diesen Jahres erneut zahlreiche Kirchenmitglieder zusammen, um über das weitere Vorgehen bezüglich der Renovationen in der Kirche St. Johann abzustimmen. Streitpunkt dabei ist die Entfernung der Metzler-Orgel zugunsten besserer Platz- und Lichtverhältnisse im Chor.   Viele junge Kirchgemeindemitglieder waren anwesend. «Es ist unsere Kirche», begründete eines von ihnen das Kommen an diesen lauen Sommerabend, der hitzig zu werden schien. «Die Orgel gehört in unsere Kirche», sagte eine 74- jährige Schierserin, die bei der ersten Abstimmung nicht anwesend gewesen war.Immer wieder fallen auch die Worte, es brauche eine «zeitgemässe Nutzung».Mit Namen möchte niemand genannt werden. Das Thema polarisiert und scheint zu spalten. «Ich mag jene, die für die Orgel sind und auch einige, die dagegen sind», meinte eine Anwesende. Sie werde sich deshalb der Stimme enthalten.  

«Hitzetage» in Schiers

Ähnlich, wie beim Renovationsprojekt vor fast hundert Jahren, geht es auch beim aktuellen Vorhaben um die Heizung im Innern der Kirche, es geht um bessere Lichtverhältnisse und um die Orgel und deren Platz im Kirchenchor. Doch während sich die Mitglieder vor hundert Jahren fast einstimmig für das Projekt aussprachen, sieht es heute anders aus. Die ersten Hitzetage, nicht nur wetterbedingt, gab es bereits vor zwei Jahren.

Am 6. Juni 2019 stimmten eine Mehrheit von 67:56 Stimmen dem Renovationsprojekt zu, welches der Kirchenvorstand den Kirchengemeindemitgliedern vorlegte. Präsentiert wurden zwei Varianten zur Renovierung des Innenraums. «Es gab die sanfte Variante und die Variante Neugestaltung», erklärt die Präsidentin der Kirchgemeinde Ruth Flury. Die Variante «Neugestaltung» sieht dabei den Rückbau der alten Orgel samt Orgelprospekt (sichtbarer Teil der Orgel mit Pfeifen) vor. «Damit bekommen wir mehr Licht in den Kirchenchor, wir können das Heizsystem verbessern und den Chor für kulturelle Anlässe nutzen», argumentiert Flury, die seit 2016 im Amt ist und sich im nächsten Jahr nicht wieder zur Wahl stellen wird. Das durchaus knappe Ergebnis von 2019 sorgte anschliessend für weitere «Hitzetage» innerhalb der Gemeinde.    

Monument Schierser Orgel

Der Grund für die Meinungsverschiedenheiten ist der kulturhistorische Aspekt der 1928 erbauten Metzler-Orgel. Mit allem Verständnis für die Argumente einer Sanierung verweist Lukas Bardill, bildender Künstler aus Schiers, aber auf die Einmaligkeit der Orgel. «So etwas darf nicht einfach zerstört werden», so der Schierser. Denn was mit der Orgel nach deren Rückbau geschehen soll, ist bisher völlig unklar. Klar ist hingegen, dass zahlreiche, Organisten, Musikliebhaber, Historiker und Kulturschaffende für den Verbleib der Orgel sind. «Die Orgel ist nicht nur aus der Zeit heraus ein Juwel und in Fachkreisen unumstritten, sondern auch klanglich top up to date», sagt Martin Hobi, Professor für Kirchenmusik aus Uznach. Ebenso äussert sich Bernhard Hörler, der Orgelexperte ist: «Weil in der Schweiz aus den 1920er-Jahren nur noch ganz wenige Instrumente überhaupt erhalten sind und die Schierser Orgel von einer später weltberühmten Firma gebaut wurde, ist sie definitiv ein Denkmal von natio­naler Bedeutung, nicht ‹nur› regional», so der Konzertorganist.  Und Matthias Wamser betont in der Märzausgabe der Zeitschrift «Musik& Gottesdienst», «die Monumentalität» des Instruments. Schliesslich intervenierte auch der Bündner Heimatschutz bei der Regierung in Chur. «Ein Abbruch des markanten Gehäuses würde einen empfindlichen Eingriff in die historische Raumfassung darstellen», lautete ein Argument.  

Wie kam es überhaupt zu dem Projekt

Als Ruth Flury, 74, vor fünf Jahren das Amt angetreten hatte, stellte ein Kirchenmitglied den Antrag auf die Ausarbeitung eines besseren Raumnutzungskonzepts der Kirche. «Die Person kam von einem Konzert in der Evangelischen Mittelschule Schiers und musste einmal mehr feststellen, dass es an geeigneten Räumen für kulturelle Anlässe in der Gemeinde schlichtweg fehlt», blickt Flury zurück. So wurde der Antrag des Mitgliedes zu einem Auftrag für den Vorstand, welcher im Juni 2019 eine knappe Mehrheit bei den Mitgliedern fand.

Im Gegenwind

Zwei Wochen nach der Abstimmung versammelten sich zahlreiche nationale Organistinnen und Organisten in der Kirche in Schiers. Durch die mediale Berichterstattung hatten sie vom Vorhaben der Umbauabsichten gehört. Nach einem direkten Augenschein, Spiel- und Hörerfahrungen versuchten sie, auf die Besonderheiten des Instruments hinzuweisen und damit zum Erhalt der Orgel beitragen. Gestützt auf die Kirchenverordnung wurde von einer Privatperson ein Wiedererwägungsgesuch gestellt. Die dafür fünfzig benötigten Unterschriften waren schnell zusammen.

Zeitgleich gründete die Orgelgruppe um Lukas Bardill und Martin Stihl die Interessengemeinschaft IG Orgelschiers. Sie trug zahlreiche Expertenmeinungen und Aussagen von Fachleuten zusammen. Die IG Orgelschiers suchte immer wieder auch das Gespräch mit dem Vorstand. Zwischen Januar und Mai 2021 organisierte sie zudem die Orgelkonzertreihe «Orgelpanorama» mit der international bekannten Organistin Ursula Hauser und der Flötistin Ursula Bosshardt und weiteren Orgelkoryphäen. Die Konzertreihe fand also genau im Zeitraum vor der zweiten Abstimmung am 17. Juni 2021 statt. Vor den jeweiligen Anlässen wiesen die Veranstalter auf die Bedeutung der Metzler-Orgel hin. Und «das war so nicht abgesprochen», zeigt sich Flury enttäuscht. Für sie waren die Anlässe «Propaganda» gegen das Renovationsprojekt. Flury besuchte dementsprechend nur das erste Konzert.  

Im Gespräch mit «reformiert.» betont Bardill, dass der Vorstand zeitlich zu kurzfristig informiert hätte. Zudem seien zahlreiche Informationen nicht transparent gewesen. Flury weist diesen Vorwurf entschieden zurück: «Der Vorstand und die Projektgruppe Renovation haben zweimal jährlich an den Versammlungen ausreichend informiert.» Der beauftragte Architekt Beat Buchli stellte, gemäss Protokoll, die Pläne jeweils vor den Mitgliedern dar.  

Das Gutachten

«Ein wichtiger Punkt ist aber das Gutachten des Historikers Leza Dosch», sagt Bardill. Dosch wurde im Hinblick auf die Renovierung von der Denkmalpflege Graubünden mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt.  Am 22. Juli 2019 machte der Kunsthistoriker dafür eine Begehung mit der Kirchgemeindepräsidentin. Am 18. August 2020 erschien das umfassende architekturhistorische Gutachten zur Innenraumgestaltung. «Der Innenraum muss als Gesamtkunstwerk verstanden werden», schreibt Dosch zur architekturhistorischen Einordnung. Das auffälligste Ausstattungselement - jene Orgel, die im Chor platziert wurde - sei in den damaligen Plänen in ihrem Standort nie infrage gestellt worden, stellt Dosch weiter fest.

Für Lukas Bardill liegt in dem zeitlichen Ablauf ein Schlüsselpunkt. Das Gutachten wurde nach der Versammlung am 6. Juni 2019 erstellt. «Das heisst nichts anderes als, dass den Mitgliedern nicht alle Informationen vorgelegen haben», so Bardill. Dosch kommt in seinem Gutachten zu einem eindeutigen Schluss. Er empfiehlt dem Kanton, die Kirche mitsamt seiner Ausstattung unter kantonalen Schutz zu stellen. Im Juni 2020 kam die Antwort aus Chur: «Die reformierte Kirche St. Johann in Schiers ist mitsamt der für ihre Wirkung wesentlichen Umgebung ein Schutzobjekt […] und unter kantonalen Denkmalschutz gestellt.» Im zweiten Absatz des Regierungsbeschlusses wird «die Innenraumausstattung von 1928 von diesem Schutz [jedoch] ausgenommen.»    

Ein neues Lied

Der Kirchenvorstand verdeutlichte am Abend des 17. Juni 2021 nochmals, wie wichtig ein Raum für kulturelle Anlässe sei. «Es braucht einen Kulturraum für Theater, Musik, Schulanlässe und Gottesdienste», so der Vorstand. Dieser Raum würde durch das Entfernen der Orgel entstehen. Gemäss seiner Broschüre für die Chorentleerung wurde der Vorstand unter anderem durch die Evangelische Mittelschule (EMS), durch das Bildungszentrum Palottis und durch die Musikschule Prättigau unterstützt. In einer ersten Abstimmung mittels Handzeichen wurden die Anwesenden gefragt, ob sie sich genug informiert fühlten. 68:15 Mitglieder bejahten das. In einer zweiten, schriftlichen und geheimen Abstimmung wurde gefragt, ob es nochmals zu einer Abstimmung über das Renovierungsprojekt kommen solle. Ein deutliches Mehr von 61 Stimmen verneinte das, wobei 38 Stimmen für eine erneute Abstimmung waren. «Das ist eine klare Aussage der Kirchgemeinde», resümierte Bardill anschliessend. Damit würde er die Renovierung und den Abbruch der Orgel mit Bedauern hinnehmen.