Die Regenbogen-Pfarrerin von Zürich

Kirche

Die Kirchgemeinde Zürich finanziert ein neues Pfarramt, das auf die Bedürfnisse der LGBTIQ*-Community fokussiert. Als Regenbogen-Pfarrerin gesetzt ist Priscilla Schwendimann.

Eigentlich wollte Priscilla Schwendimann nicht. «Bei uns Reformierten ist das Thema doch durch», dachte die Pfarrerin, die in einer lesbischen Beziehung lebt. Mit Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist und Kirchenkreispräsident Stefan Thurnherr hatte sie die Idee einer Pfarrstelle für queere Menschen entwickelt.

Doch Schwendimann zweifelte, ob ein spezialisiertes Pfarramt überhaupt nötig sei. Probleme mit der Homosexualität haben doch die anderen: der Vatikan, die Freikirchen.

Das theologische Kerngeschäft

Die 28-jährige Theologin arbeitete weiter als Stellvertreterin am St. Peter und am erfolgreichen Videoprojekt «Holy Shit». In unverblümter Sprache geht sie darin mit Pfarrerin Claudia Steinemann dem theologischen Kerngeschäft nach: Bekenntnis und Bibelauslegung.

Das Echo auf die Videos zeigte bald: Das Thema ist längst nicht durch. Bei vielen Lesben und Schwulen habe die Kirche ein denkbar schlechtes Image, erzählt Schwendimann. Und vor allem tue Seelsorge not.

Die Kirche ist auch ein Schutzraum

«Die Suizidrate bei jugendlichen LGBTIQ* ist bis zu fünfmal höher als bei heteronormativen Gleichaltrigen», schreibt der Kirchenkreis Altstadt denn auch in seinem Projektbeschrieb. Dem aktuellen Medienhype zum Trotz erfahren viele Betroffene aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer geschlechtlichen Identität weiterhin Diskriminierung und Ausgrenzung.

Die entstehende Gemeinschaft soll deshalb ein Schutzraum sein – sowieso eine zentrale Funktion der Kirche. Schwendimann schwebt ein offenes Pfarrhaus vor, in dem Jugendliche, die nach ihrem Coming-out von ihren Familien aus dem Haus geworfen wurden, Unterschlupf finden.

Anerkennung für die Aufbauarbeit

Die Zürcher Kirchenpflege ermöglicht das Pfarramt, indem sie eine Vollzeitstelle finanziert, die mit Schwendimann und einem noch zu findenden Pfarrer besetzt wird. Die verbleibende Arbeitszeit kann sie für «Holy Shit» aufwenden. «Das ist eine Anerkennung für dieses Projekt», sagt Barbara Becker, die in der Kirchenpflege für Pfarramtliches und Gottesdienst verantwortlich ist. Vom neuen Pfarramt erhofft sie sich, dass «Leute von der Botschaft des Evangeliums erfahren, welche die Kirche bisher nicht erreicht».

Ich hoffe, dass Leute von der Botschaft des Evangeliums erfahren, welche die Kirche bisher nicht erreicht.
Barbara Becker, Zürcher Kirchenpflegerin

Auch Schwendimann sagt: «Die Verkündigung ist zentral.» In welcher Form die Gottesdienste gefeiert werden, ist völlig offen. Klar sei, dass ein Bedürfnis nach Spiritualität vorhanden sei. «Oft wird der Wunsch nach einem gemeinsamen Gebet an mich herangetragen.» 

Mit weit offenen Türen

Theologieprofessor Ralph Kunz unterstützt und begleitet das Projekt. «Die Frage, weshalb es ein spezielles Angebot braucht, ist berechtigt», sagt er und verhehlt seine Skepsis gegenüber allzu vielen Spartenangeboten in der Kirche nicht.

Eigentlich sollte über jeder Kirchentür der Regenbogen stehen
Ralph Kunz, Professor für Praktische Theologie

Zugleich hätten solche Gemeinschaften eine lange Tradition. Kunz erinnert an die ökumenische Frauenbewegung und verweist auf die katholische Kirche. «Dort wurden Missionen gegründet für Migranten aus Italien oder Kroatien.»

Die Sache mit Paulus

Für die Institution gehe es um Inklusion, aus Sicht der Minderheit um Anerkennung und Identität. Entscheidend sei, dass die Gemeinde sich nicht abkapsle. «Ohnehin sollte über jeder Kirchentür der Regenbogen stehen», sagt Kunz und zitiert Apostel Paulus: «Da ist weder Jude noch Grieche, da ist weder Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau. Denn ihr seid alle eins in Christus Jesus» (Gal 3,28). 

Dass mit Bibelstellen nicht nur Inklusion begründet wird, sondern auch ausgegrenzt werden kann, hat Priscilla Schwendimann schmerzhaft erfahren. In einem freikirchlichen Umfeld sozialisiert, hat sie keinen einfachen Weg hinter sich. Der Glaube an Gott hat sie dennoch nie verlassen und sie davor bewahrt, zu verbittern. «Das ist Gnade.»

Pionierarbeit der Reformierten in Genf

LGBTIQ* steht für lesbisch, schwul, bisexuell, transsexuell, intersexuell, queer und mit dem Sternchen für unendlich viele Möglichkeiten, um Menschen mit verschiedenen sexuellen Orientierungen und Identitäten gerecht zu werden. Oft werden auch knappere Kürzel verwendet, wie etwa in der reformierten Genfer Kirche, die 2018 eine Initiative für die LGBTI-Gemeinschaft als Amt anerkannt hat. Zwei Jahre zuvor als Freiwilligenprojekt im Rahmen des Pionierpfarramts LAB gestartet, wird Antenne LGBTI inzwischen von Initiator Adrian Stiefel als beauftragtem Laien in Teilzeit geleitet. Unter dem Dach von Antenne LGBTI versammelt sich eine wachsende Zahl von Menschen aus unterschiedlichsten Herkunftskirchen zum Austausch und zu Gottesdiensten. Stiefel ist auch in der Pfarrausbildung zum Thema tätig.

Zusätzlich zur Begleitgruppe, zu der neben Kunz, Sigrist und Thurnherr auch Mathias Burri von der Abteilung Kirchenentwicklung der Landeskirche gehört, hat Priscilla Schwendimann ein ehrenamtliches Team zusammengestellt. Es dient der Pfarrerin als Gegenüber und Korrektiv. «Wir brauchen den Mut zum Experiment.» Funktioniert ein Angebot nicht, will Schwendimann nicht zögern, es wieder zu streichen.

Gespannt auf das Jobprofil

Die Finanzierung der Stelle ist bis Ende der Amtsperiode 2024 gesichert. Dann will Schwendimann eine erste Bilanz ziehen. Sie ist gespannt, wie ihre Gemeinde und ihr Jobprofil dann aussehen werden.

Ein Glücksfall für die Kirche ist sie auf jeden Fall schon jetzt.