Recherche 25. August 2020, von Constanze Broelemann, Thomas Illi

Die Angst vor den Dämonen ist noch immer verbreitet

Exorzismus

Die reformierte Theologie kennt keine Dämonen. Trotzdem fühlen sich auch heute noch Menschen von bösen Kräften besessen und suchen Hilfe bei Befreiungsdiensten.

«Ich fühle in mir etwas, das da nicht hingehört.» So oder ähnlich sprechen Menschen, wenn sie die Notfallnummer des Seelsorge-zentrums Hese-kiel anrufen. Manchmal vermuten sie auch in einer körperlichen Krankheit eine «Besetzung» durch das Böse. Im Korps Zürich-Oberland der Heilsarmee sind 35 Seelsorgende damit betraut, Menschen, die sich von unreinen Geistern bedrängt fühlen, zu helfen. Die Nachfrage des freikirchlichen Angebotes ist hoch. Beat Schulthess, Korpsoffizier im Seelsorgezentrum Hesekiel, spricht von 11 500 Seelsorgestunden, die er und sein Team jährlich leisten.

Helfen ohne Ritual

Befreiungsdienst nennt sich das, was Schulthess macht. Anders als auf katholischer Seite haben die evangelischen Geistaustreiber kein Ritual und keinen festgelegten Ablauf: «Wir gehen individuell vor, schauen, was die Person braucht.» Denn bevor jemand von einem Geist befreit werden könne, müsse erst einmal feststehen, dass überhaupt einer im Spiel sei. Und nicht eine psychiatrische Erkrankung vorliege. Deshalb klären die Seelsorgenden in einem Erstgespräch ab, ob die hilfesuchende Person bereits psychiatrisch behandelt wird und Medikamente nimmt. Schliesslich muss der Hilfesuchende auch noch einwilligen, dass er mit der Seelsorgeform, die Schuthess anbietet, einverstanden ist.

Dieses umsichtige Vorgehen begrüsst der Religionsexperte Georg-Otto Schmid. Er weiss, dass schweizweit Geistaustreibungen populär, aber unterschiedlich seriös sind. «Geister auszutreiben, ist keine ungefährliche Praxis.» Trotz aller Aufgeklärtheit haben gemäss Schmid sogenannte Ghost-Hunter, die mit technischem Gerät angebliches Vorkommen von Geistern in Häusern nachweisen, oder neoschamanische Praktiken auch unter Atheisten Konjunktur. Der Glaube an böse Geister und Besessenheit hingegen sei ein typisches Merkmal einer pfingstlich-charismatischen Theologie. In traditionell protestantischer Sicht können Christen nicht von Geistern besessen sein, und das liberale Christentum lehnt die Vorstellung von Dämonen im Grundsatz ab. «Den Geisterglauben sollte man relativieren und vielmehr die Probleme angehen, die oftmals dahinterstecken», sagt Schmid.

«Man sollte vielmehr die Probleme angehen, die oft hinter dem Glauben an Geister stehen.»
Georg-Otto Schmid, Religionsexperte

Manche Leidende setzen trotzdem auf eine Austreibung und wenden sich an Leute wie Beat Schulthess. Dieser versteht sich – ganz in freikirchlicher Tra-dition – als begabt, Geister zu erkennen, zu unterscheiden und Menschen davon zu befreien. 30 Jahre Berufserfahrung liessen ihn schnell wissen, ob ein Mensch unter grossem Zorn oder sexuellen Problemen leide, sagt er.
In welche Abgründe Schulthess in seiner Seelorgepraxis blickt, kann man ansatzweise ermessen, wenn er erzählt. Neben Suchterkrankungen, die keine Therapie ganz heilen konnte, Missbräuchen und Verletzungen aller Art kämen Menschen auch mit okkulter Vergangenheit oder sexuellen Perversionen wie Sodomie zu ihm. Geholfen wird auf unterschiedliche Weise: «Manchmal sind es Gespräche, manchmal braucht es ein spezielles Gebet», erklärt Beat Schulthess.

Heilende Segenskraft

Das Gebet als Mittel zu einer Verbesserung steht auch bei der ehemaligen Zürcher Kirchenrätin Anemone Eglin im Mittelpunkt. Sie wirkt in Winterthur «auf den biblischen Grundlagen von Heilen und Handauflegen, wie es auch Jesus, die Apostel und viele andere praktiziert haben». An «dunkle Mächte» oder «Dämonen» glaubt sie jedoch nicht, sondern an die Ausrichtung auf das Gute: «Mit dem Handauflegen helfe ich Menschen, sich der Segenskraft bewusst zu öffnen. Das kann einen heilenden Impuls setzen.» Anemone Eglin will bei ihrer Arbeit nicht von «Befreiung» sprechen: «Aber selbstverständlich ist jede Verbesserung ein Stück mehr Freiheit», sagt sie.

Bannsprüche und Gebete gegen das Böse

Der im Februar verstorbene Churer Bischofsvikar Christoph Casetti galt als einer der bekanntesten Exorzisten der Schweiz. In der Tat hat der «Exorkismos» (griechisch: «Hinausbeschwören») in der römisch-katholischen Kirche nach wie vor einen hohen Stellenwert. Papst Franziskus anerkannte im Juli 2014 den Internationalen Exorzisten-Verband AIE, dem auch Schweizer Priester angehören, ausdrücklich.

Praktiziert werden Bannsprüche («kleiner Exorzismus») und Exorzismus-Gebete als Bestandteil der Taufe. Der «grosse Exorzismus», der ebenfalls hauptsächlich auf Gebetsritualen beruht, bedarf der Erlaubnis des Diözesanbischofs, wobei zunächst gründlich geprüft wird, ob wirklich eine Besessenheit und nicht etwa eine psychische Krankheit vorliegt. ti