Recherche 27. April 2022, von Anouk Hiedl, «pfarrblatt» Bern

«Ich bin mit der Filmausrüstung im Kinderwagen rumgelaufen»

Kino

Am 5. Mai läuft der Dokumentarfilm «Hebammen – Auf die Welt kommen» an. Die Regisseurin Leila Kühni spricht im Interview über die Dreharbeiten, Widersprüche und Tabus.

Wie haben Sie die Hebammen ausgewählt, denen Sie in Ihrem Film über die Schulter schauen?

Leila Kühni: 2016 habe ich als Erstes ein Jahr lang freischaffende Hebammen gesucht, habe mit ihnen gesprochen und bin mitgegangen, um zu sehen, wie sie arbeiten. Dabei stiess ich immer wieder auf Helena Bellwald aus Spiez. Ihr Leben und ihr Beruf sind sehr stark miteinander verbunden. Mit ihrer Praxis, dem Garten und den Hausbesuchen bei ihren Wöchnerinnen in der Region hat sie sich eine so gesamtheitliche Welt aufgebaut, dass ich erst Bedenken hatte, damit Hausgeburtsklischees zu bedienen. Aber ihre Arbeitsweise hat mich tief beeindruckt. Über eine Gynäkologenpraxis in Solothurn stiess ich auf die Basler Beleghebamme Lucia Mikeler, die ganz anders als Helena ist, bestimmt und bodenständig. Auch mit dem Bethesda Spital hat die Zusammenarbeit unkompliziert geklappt. Nach dem Motto «Wir sind viele» tragen alle Hebammen die gleiche Uniform und haben die gleichen Auflagen. Der Fokus dort liegt auf zwei jüngeren Hebammen, die noch auf der Suche sind, wo und wie sie arbeiten wollen.

Mussten Sie jemanden überzeugen, im Film mitzuwirken?

Nein. Allen Hebammen war wichtig, dass ihre Arbeit gezeigt, dass sie sichtbar gemacht wird. Der Aufwand, damit bei einer Geburt alles gut läuft, ist gross. Mit immer weniger Geburtshelfenden wird es schwieriger, eine ideale Betreuung zu gewährleisten, und je weniger Hebammen man hat, desto mehr Medikamente braucht es. Im Spital fragten wir die Schwangeren jeweils einfach an, und sie sagten ja oder nein. Helenas Wöchnerinnen war es auch wichtig, andere Möglichkeiten als die Spitalgeburt aufzuzeigen.

Leila Kühni, 52

Leila Kühni, 52

 Nach dem Studium der Kunstgeschichte und Soziologie an der Universität Bern gründete Leila Kühni das Filmkollektiv Einhornfilm. Seit 2007 realisiert sie freie Dokumentarfilme zu sozialen und kulturellen Themen.

Der Film gibt sehr persönliche Einblicke in die Situation von Schwangeren. Wie haben Sie diese Nähe geschaffen und erlebt?

Die Nähe ist immer durch das Vertrauen entstanden, das die Frauen in die Hebammen hatten. Bei Lucia und Helena hatte ich zuvor mit allen Frauen ohne Kamera gesprochen. Im Spital kam ich dazu, sagte «Hallo» und war dann einfach da. Sie wussten, dass das gedrehte Material nicht in Stein gemeisselt ist und sie ihr OK auch zurückziehen könnten. Mir ging es darum, ein Grundvertrauen zu schaffen und vor Ort dann zu «verschwinden», um die Situation nicht zu stören.

Eine Geburt ist nicht planbar. Wie war das für die Dreharbeiten?

In den zwei Wochen vor der Steissgeburt in Basel war ich auf Pikett und bin in Bern mit der Filmausrüstung im Kinderwagen rumgelaufen. Die Geburt dauerte 2,5 Stunden, und nach der Anreise waren wir während der letzten halben Stunde mit vor Ort. In Wimmis dauerte die Geburt 1,5 Stunden, da kamen wir eine Viertelstunde zu spät. Bei einer der Geburten im Spital waren wir von Anfang an dabei. Sie dauerte 24 Stunden, und wir kamen an unsere Grenzen. Nacheinander verabschiedeten sich der Kameramann und der Tontechniker, und ich machte allein weiter. Der Film zeigt den Hebammenberuf, wie er sein soll, vor allem die guten Seiten – mit guten Hebammen war das möglich.

Der Film

«Hebammen – Auf die Welt kommen» läuft am 5. Mai, dem internationalen Tag der Hebammen, in den Deutschschweizer Kinos an. Trailer, Premieren, Kinogespräche und weitere Infos: www.hebammenfilm.ch

Was hat Sie überrascht?

Wenn Frauen mit ihren Aussagen Tabus und damit den Mythos der guten Mutter brachen. Unaussprechliches gesagt zu hören, ist gleichzeitig wahnsinnig hart und berührend menschlich und macht die Widersprüche deutlich, die wir alle in uns tragen.

Wer ist zur Vorpremiere an den Solothurner Filmtagen gekommen?

Zahlreiche Hebammen und viele von Cast und Crew waren da. Das war mir wichtig, um die Frauen, die geboren hatten, und die beteiligten Hebammen als Vereinigung zu stärken. Berührt hat mich, dass einige ältere Frauen vor Ort erzählten, sich nun mit eigenen schwierigen Geburtserfahrungen versöhnen zu können. Ich selber sah den Film zum ersten Mal auf Grossleinwand, erlebte die Reaktionen und das Mitgehen der Zuschauenden und bekam mit, was auch bei viel Publikum funktioniert. Nach der Steissgeburt gab es sogar Szenenapplaus, das habe ich vorher so noch nie erlebt.