Wenn der Ozean im Bauch wächst

Geburtshilfe

Ein neuer Film gibt Einblick in den Berufs­­alltag der Hebammen. Die Protagonistin Helena Bellwald begleitet werdende Eltern, die ihr Kind zu Hause zur Welt bringen wollen.

«Jede Frau ist eine Schöpferin», sagt Helena Bellwald. «In einer Schwangerschaft lässt sie für ihr Kind in ihrem Bauch einen Ozean wachsen.Das berührt mich jedes Mal von Neuem.» Die 62-jährige Hebamme hat rund 600 Kinder auf die Welt begleitet, 300 davon zu Hause. «Ich will in den Frauen die Kraft dieses schöpferischen Aktes wecken.»

Die Lötschentalerin arbeitet seit 2000 als freischaffende Hebamme. Sie begleitet Eltern, die ihr Kind zu Hause zur Welt bringen wollen. Zu Beginn der Schwangerschaft sehen sich Eltern und Hebamme einmal im Monat zur Schwangerschaftskontrolle, ab der 32. Woche dann alle 14 Tage zur Geburtsvorbereitung. «Respekt und Vertrauen stehen im Zentrum meiner Arbeit.» Gleich zu Beginn spreche sie immer die Sicherheit an: Es gebe keine absolute Sicherheit im Leben. Auch nicht bei einer Geburt. «Je weniger wir aber in den natürlichen Prozess eingreifen, desto grösser ist die Chance, dass die Schwangerschaft, die Geburt und die Zeit der Neufindung mit dem Kind gut verlaufen», ist Bellwald überzeugt.

Hebammen im Film

Am internationalen Tag der Hebammen, dem 5. Mai, läuft der Film «Hebammen – auf die Welt kommen» an. Die Regisseurin Leila Kühni begleitete für den Film Hebammen, die Paare während der Schwangerschaft und Geburt betreuen. Neben einer freischaffenden und einer im Spital arbeitenden Beleghebamme ist auch Helena Bellwald als Hebamme für Hausgeburten eine Protagonistin des Films. Der Film gibt intimen Einblick in Familien, in Wohnstuben, Praxen und Gebärsäle – ohne zu werten, welcher Start ins Leben der bessere ist.

Die Hebamme arbeitet im Berner Oberland. Sie betreut Familien von Kandersteg bis Münsingen und von Gstaad bis nach Inter­laken. In diesen abgelegenen Tälern wurden in den letzten Jahren viele Geburtsabteilungen in den Regionalspitälern geschlossen. Wenn bei einer Geburt Probleme auftauchen, muss Bellwald nach Thun verlegen. «Das ist der einzige Nachteil bei einer Hausgeburt. Wir müssen einen langen Weg unter die Räder nehmen und verlieren so unter Umständen viel wichtige Zeit für Kind und Mutter.»

Inneres Wissen wecken

Ungefähr zwei Prozent der Frauen gebären in der Schweiz zu Hause, drei Prozent in einem Geburtshaus. 95 Prozent der Schweizerinnen entbinden im Spital. Helena Bellwald ist nicht gegen Geburten im Krankenhaus. «Ein Arzt denkt und handelt anders als ich als Hebamme», äussert sie sich dazu.
Eine gesunde Frau müsse sich dessen bewusst sein. «Wir Hebammen sind Fachfrauen für das Gesunde, für die Gesunderhaltung von Mutter und Kind.» Die Medizinerin sei spezialisiert auf die Heilung von Krankheiten. Da sei es logisch, so Bellwald, dass zwei verschiedene Ansätze resultierten: Im Spital stehe die Krankheit im Vordergrund, Wahrscheinlichkeiten von Risiken beeinflussten die Behandlung. «Das darf durchaus sein. Aber für mich steht die Prophylaxe im Zentrum.» Einer der wichtigsten Aspekte dabei ist für Bellwald die Zeit. «Eine Geburt ist kein lineares Geschehen. Wir müssen Mutter, Vater und Kind mehr Zeit geben, sie ihren Weg gehen und finden lassen, wobei die Unversehrtheit beider Wesen immer im Zentrum steht.»

Bellwald will informieren und so  Eltern ihre Verantwortung aufzeigen. Wenn eine Mutter etwa einen Ultraschall beim Arzt machen will, fragt Bellwald, ob sie sich der Konsequenzen bewusst sei. «Ich höre den Eltern zu, wir sprechen über ihre Ängste. Ich will sie nicht überzeugen, sondern ihr eigenes inneres Wissen ‹wachpöpperlen›.»

Mehr Vertrauen haben

Die Hebamme hat keine Kinder. Was zu Beginn schwierig gewesen sei, empfinde sie heute nicht nur als Nachteil: «Jede schwangere Frau hat mehr Erfahrung als ich, das macht mich demütig.»

Für Helena Bellwald ist klar: Gebären müsse ins Leben integriert und mit Würde und Respekt behandelt werden. «Die Geburt ist ein Spie-gel unserer Gesellschaft.» Die Hebamme vertraut in die Natur, in die schöpferische Kraft, die sie in jedem Menschen sieht. «Ich wünschte, wir würden uns weniger von der Angst leiten lassen und wieder mehr Vertrauen in die natürliche Ordnung haben.» Die Natur mache immer von dem, was möglich sei, und von dem, was wir zuliessen, das Beste, sagt Helena Bellwald.