Recherche 22. Juni 2016, von Hans-Peter Mathys

Ein Zeichen der Hoffnung gesetzt

Buchbesprechung

Hans-Peter Mathys, Dekan der Theologischen Fakultät Basel, hat für «reformiert.» das neue Buch von Christoph Weber-Berg kritisch angeschaut.

Ein Kirchenratspräsident, der sich der theologischen Grundlagen kirchlichen Handelns vergewissert, das gibt es nicht allzu häufig. Bücher, die kompetent in den christlichen Glauben aus evangelischer Warte einführen und sich als Lektüre für gebildete Laien ebenso eignen wie als Grundlagentext für ein theologisches Seminar, auch danach muss man suchen. Gar extrem dünn gesät sind Publikationen, die in gutem und schönem Deutsch geschrieben sind, die man versteht, auch wenn es um die Darstellung komplexer Tatbestände geht. «Reformulierter Glaube» von Christoph Weber-Berg erfüllt alle diese Bedingungen. Ich habe seine Schrift mit viel Gewinn gelesen, auch mit Spass.

Fünf statt vier Soli. Am Anfang der kurzen Besprechung eine Bemerkung zu dem, was ich mit massloser Übertreibung den Locher-Weberschen Grundsatzstreit nennen möchte. Gottfried Locher, der Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds, hat als Motto für das Reformationsjubiläum den Satz vorgeschlagen: «Wer glaubt, ist frei.» (Zwingli). Diesen Satz erachtet Christoph Weber-Berg als zu distanziert. Er setzt an seine Stelle zwei andere Sätze: «Gott glaubt an dich. Du bist frei.» Mit dieser Betonung des Du, des «tua res agitur» (Es geht um deine Sache) steht er dabei auf der Seite des Heidelberger Katechismus, der mit seiner – im besten Sinne – fast pathetischen Frage «Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?» den Menschen direkt anspricht. Gottfried Locher gehört mit seinem Vorschlag eher auf die Seite des Apostolicums. Oder stark verkürzt ausgedrückt: Christoph Weber-Berg ist für das Ausrufzeichen – dem logisch gesehen ein Fragezeichen vorausgeht –, Gottfried Locher plädiert für den Punkt.

Ein Zweites: Das Selbstbewusstsein, das Christoph Weber-Berg zu Recht für die Kirche einforderst, geht ihm selber nicht ab. Er ergänzt nämlich, darin eine Anregung von Samuel Jakob aufnehmend und systematisch entfaltend, die vier reformatorischen soli (Allein), nämlich «Allein Christus», «Allein durch die Schrift», «Allein aus Gnade», «Allein durch den Glauben», durch ein fünftes: «Allein durch die Liebe», lateinisch «sola caritate». Er betrachtet es sogar – eine steile These! – als Schlüssel zum Verständnis der anderen vier «Allein».

Weitere Aufklärung. Vom Vorgehen her lässt sich dies ein Stück weit mit der Einfügung des «filioque» ins Glaubensbekenntnis vergleichen, also der Behauptung, dass der Heilige Geist nicht nur aus Gott, sondern auch aus dem Sohn hervorgehe. Diese Ergänzung geht auf den Hoftheologen von Karl dem Grossen, Alkuin, zurück.

Was hat dieses fünfte «Allein» für Konsequenzen für das Verständnis der vier klassischen «Allein»? Hier erwartet man vom Autor noch weitere Aufklärung. Immerhin: In Eberhard Jüngel hat er einen Kollegen, der in seiner grundlegenden Untersuchung «Gott als Geheimnis der Welt» Gott als Liebe gedacht hat.

Einer meiner Mitarbeiter hat – sicher nicht als einziger – den Titel des Buches falsch verstanden: «Reformierter Glaube». Er wollte es gleich lesen, weil ihn brennend interessiert, was ein Schweizer Kirchenratspräsident über das typische Profil der reformierten Kirche zu schreiben hat. Dieses Profil kommt meines Erachtens etwas zu kurz – oder muss es etwa zu kurz kommen, weil viele Strömungen innerhalb der evangelischen Kirchen sich nur noch schlecht vom Gegensatz Lutherisch-Reformiert her erklären lassen, diesen gleichsam schnöde hinter sich gelassen haben?

Kritik und Dank. An einem Punkt nur wird der Autor «laut», dort nämlich, wo die Rede auf die Sühneopfer-Theologie kommt. Sie sei in der religiösen Vorstellungswelt der Antike, wo es üblich war, die Gottheit durch Opfergaben gnädig zu stimmen, einleuchtend gewesen; sie bilde aber nicht das einzig mögliche Verständnis von Jesu Tod und lasse sich heute nicht mehr vertreten. Und wenn die Sühneopfervorstellung doch eine «particula veri», ein Stückchen Wahrheit enthielte, gerade das Skandalöse an Jesu Tod besonders gut zum Ausdruck zu bringen vermag?

Zum Schluss nicht Kritik, sondern Dank. Kirchenratspräsidenten sollten, nein müssen sich Zeit nehmen, um grundsätzlich darüber nachzudenken, was Kirche ist. Das ist genau so wichtig wie die Entwicklung neuer Strukturpläne. Deshalb ist das Buch ein Zeichen, das Hoffnung weckt.

Thesen zum Jubiläum

Als Beitrag zum Reformationsjubiläum hat der Aargauer Kirchenratspräsident Christoph Weber-Berg in Buchform Thesen formuliert, um Altes zu überdenken und Neues anzuregen, um den Glauben zu «reformulieren». Bewusst will Weber-Berg die fachliche Diskussion anregen und beleben.

Reformulierter Glaube. Anstösse für kirchliche Verkündi-
gung heute, Christoph Weber-Berg, TVZ