Wie geht demokratische Teilhabe?

Konfliktforschung

Politikwissenschaftler Andreas Juon forscht an der ETH zum Zusammenhang von Machtteilung und ethnischen Konflikten. Seine Arbeit führt ein Dilemma demokratischer Staaten zutage.

Im demokratischen Zusammenleben kommt es oft zu Situationen, in denen Mehrheiten über Minderheiten entscheiden. Das sorgt für ordentlich Zündstoff, besonders in Ländern mit ethnischen Minderheiten. Damit es keine Konflikte gibt, sollten Minderheiten etwa in die Gesetzgebung eingebunden sein. Wie dies jedoch konkret gelingen kann und wo Schwierigkeiten lauern, zeigt die Arbeit von Andreas Juon auf. Er forscht in der Gruppe für internationale Konfliktforschung der ETH-Zürich. Der Politikwissenschaftler vergleicht verschiedene Formen der Machtteilung und fragt, wie zufrieden die jeweiligen Minderheiten damit sind.

Zwei Arten der Machtteilung

Dabei unterscheidet er zwei Arten der Machtteilung: korporatistische und liberale. Beide Varianten haben das Ziel, Minderheiten in der Regierung und bei politischen Entscheidungen einzubeziehen. «Korporatistische Machtteilung tut dies mit direkten Mitteln, die explizit auf ethnische Minderheiten abzielen», erklärt Juon. Länder mit einer solchen Machtteilung setzen etwa auf Quoten für ethnische Minderheiten in Parlament und Regierung oder mit Vetorechten. Dies ist beispielsweise in Bosnien und dem Libanon der Fall.

Das Ständemehr ist eine Mischung aus zwei Formen der Machtteilung.
Andreas Juon, Politikwissenschaftler

Liberale Machtteilung hingegen bindet Minderheiten indirekter ein. «Sie gibt ethnischen Minderheiten etwa eine höhere Chance auf Parlamentssitze durch Verhältniswahlen», führt der Politologe weiter aus. Ein weiteres Mittel seien sogenannte Supermehrheiten. Dabei wird eine Vorlage im Parlament erst bei 60% oder mehr, statt 51% angenommen. Nach dem Ende der Apartheid habe Südafrikas Übergangsverfassung eine liberale Machtteilung verfolgt.

Der Schweizer Mittelweg

Auch die Schweizer Verfassung verfüge über liberale Machtteilungsmechanismen, etwa die Proporzwahl im Nationalrat und das jährlich rotierende Amt des Bundespräsidenten. Dass die Sprachgruppen adäquat im Bundesrat vertreten sein sollen, ist Juon zu folge ein Beispiel für korporatische Machtteilung. Das Ständemehr hingegen stellt eine Mischung aus den beiden Formen dar.

Was ist denn nun die bessere Art, Minderheiten Teilhabe zu gewähren? Oder ist etwa die Schweiz mit ihrer Mischform die Musterschülerin der Machtteilung? Das hänge stark von den Umständen ab, meint Andreas Juon.

Andreas Juon promovierte 2020 an der University College London und arbeitet seither in der Gruppe für internationale Konfliktforschung der ETH-Zürich unter der Leitung von Lars-Erik Cederman. Juon forscht zu Machtteilung und deren Auswirkungen in Ländern mit ethischen Minderheiten.

Nach Bürgerkriegen etwa werde die korporatistische Machtteilung eher von den Minderheiten akzeptiert, weil sie damit direkt eingebunden und anerkannt werden. So könne das gegenseitige Misstrauen überwunden werden. Dass Minderheiten direkt angesprochen werden, ist dabei Segen und Fluch zugleich, denn kleinere Minderheiten bleiben somit aussen vor.

Inklusions-Neid

Werden bestimmte soziale Gruppen durch die Machtteilung ausgeschlossen, andere aber gezielt eingebunden, kann dies die Unzufriedenheit erhöhen. Dadurch, dass andere Minderheiten eingebunden werden, erscheint der eigene Ausschluss noch viel ungerechter. Dieses Phänomen nennt sich «Inklusions-Neid» und ist etwa in Bosnien zu beobachten: «Die drei grössten ethnischen Gruppen sind da institutionell eingebunden, während Staatsbürger von bosnischen Juden und Roma keine Repräsentation haben», erklärt Juon. Verschiedenen Studie zufolge habe sich die Unzufriedenheit dieser Gruppen dadurch verstärkt.

Die Reaktion der Mehrheit

Daneben beobachtet die Forschungsgruppe von Andreas Juon einen weiteren Trend. Nämlich, dass die Mehrheitsgesellschaft müde geworden ist, ihre Macht zu teilen, und diese lieber wieder an sich reissen möchte. Dies zeige sich beispielsweise am grossen Erfolg von politischen Bewegungen, die gegen Minderheitenrechte kämpfen. So etwa bei den Wahlen in den USA, als Trump ins Präsidentenamt kam.

Eine Möglichkeit dieser Reaktion entgegen zu wirken sei, vermehrt auf liberale Machtteilung zu setzen. Wie erfolgreich diese Strategie jedoch ist, sei hingegen umstritten, meint Juon. «Eine andere Möglichkeit, die ebenfalls und sogar noch mehr umstritten ist, ist die rechtzeitige Einbindung solcher Mehrheits-Bewegungen in der Regierung, um einer möglichen Polarisierung Einhalt zu gebieten.»

Chance und Risiko zugleich

Die Erfahrung zeigt aber, dass dieser Backlash oft nur schwer zu verhindern ist und zu einem moralischen Dilemma führt. «Eine solche Reaktion kann Regierungen an die Macht spülen, die ethnische Minderheiten nicht nur nicht einbinden, sondern aktiv ausschliessen oder gewaltsam gegen sie diskriminieren», fasst Juon zusammen. Wer möglichst viele an der Macht teilhaben lassen will, geht also das Risiko ein, genau das Gegenteil zu erwirken. Wie mit diesem Risiko umzugehen ist und wie Stabilität und Teilhabe gegeneinander abzuwägen sind, ist wohl eine der wichtigsten politischen Fragen unserer Zeit.