Unter Verdacht allein wegen der Hautfarbe?

Polizei

Geraten Menschen mit dunkler Hautfarbe mehr in polizeiliche Ausweiskontrollen als Weisse? Das so genannte «Racial Profiling» wird aktuell in der Schweiz kontrovers diskutiert.

Seit der Afroamerikaner George Floyd von einem weissen Polizisten in Minneapolis getötet wurde, wird welt-weit über rassistische Polizeigewalt diskutiert. Auch die Schweiz fragt: Gibt es diskriminierende Polizeikontrollen, bei denen Menschen allein aufgrund äusserer Merkmale kontrolliert werden?

Diskriminierender Blick

Eine klare Antwort gab der Kommandant der Zürcher Stadtpolizei, Daniel Blumer, gegenüber der «Tagesschau»: «Wir sind für das Thema sensibilisiert.» Nur drei Beschwerden seien im vergangenen Jahr ein-gegangen. Der höchste Zürcher Polizist wirft in dem Kontext die Frage auf: Erlebe ein Beschwerdeführer aus sei-nem subjektiven Gefühl heraus eine Kontrolle als diskriminierend, oder sei das Verhalten des Polizisten nicht angemessen? Tarek Naguib ist als Jurist in der Organisation «Allianz gegen Racial Profiling» aktiv. Für ihn ist Blumers Frage «eine typische Polizeiantwort»: Das Phänomen werde auf ein individuelles Problem reduziert. «So kann keine Polizeikultur entstehen, die sich ernsthaft mit diesem Thema auseinandersetzt», mahnt er. 

Rund ein Drittel der Kontrollen durch Polizistinnen und Polizisten erfolge mit einem zumindest unbewusst diskriminierenden «Fremdmachungsblick», schätzt Naguib. Begründet würden die Kontrollen fast immer damit, dass die verdächtigte Person möglicherweise kein Aufenthaltsrecht haben könnte, womit ein Delikt im Sinne des Ausländerrechts vorliegen würde. 

Mohamed Wa Baile, Schweizer mit kenianischen Wurzeln, kann ein Lied davon singen. Der mit einer Schweizerin verheiratete Familienvater machte seine Erfahrungen mit der Zürcher Polizei im Hauptbahnhof. Nachdem er über längere Zeit mehrfach kontrolliert worden war, weigerte er sich, sich auszuweisen. Wegen Nichtbefolgens einer polizeilichen Anordnung wurde er mit 100 Franken gebüsst. 

Gefühl der Beschämung

Wa Baile zahlte nicht und machte geltend: Ausschliesslich seine Hautfarbe sei der Auslöser der Kontrolle gewesen. Aber die Richter bis zum Bundesgericht wollten seinen Vorwurf einer diskriminierenden Polizeikontrolle nicht anerkennen. Dennoch fühlt sich Wa Baile bei jeder Kontrolle herabgewürdigt. 

Auf dieses Gefühl der Beschämung von dunkelhäutigen Menschen verweist auch Katharina Morello, Pfarrerin aus Horgen: «Immer unter dem Generalverdacht zu stehen, etwas Kriminelles getan zu haben, das nagt am Selbstbewusstsein.» Die Pfarrerin, die sich freiwillig an der Autonomen Schule in Zürich engagiert, die Bildungsangebote für Flüchtlinge und Sans-Papiers anbietet, hat es dort von vielen Menschen gehört: Ständige Polizeikontrollen gehören zum Alltag.

«Es wird alles dafür getan, dass es in Stadt und Kanton Zürich faire Personenkontrollen gibt», betont die Zürcher Polizeiseelsorgerin Kerstin Willems. Sie unterrichtet an der Polizeischule auch das Fach Ethik. «Da erlebe ich wirklich sehr sensible Anwärterinnen und Anwärter für die Polizei, denen ein faires Auftreten und der Dialog mit den Menschen wichtige Anliegen sind.» So fasst sie ihre Erfahrungen in der Ausbildung zusammen. 

Das Bild vom Polizisten, der aufgrund seiner Uniform Macht ausüben wolle, entspreche definitiv nicht der Realität. Als sie im Unterricht die Polizeiaspiranten nach ihren Werten fragte, antworteten sie unisono: Sie wollten im Polizeiberuf hilfsbereit sein und Menschen zu ihrem Recht verhelfen. 

Bei sich selbst anfangen

Dass Rassismus bei der Polizei thematisiert werden müsse, davon ist Morello überzeugt. «Wenn die Polizei ein Spiegelbild der Gesamtgesellschaft sein soll, kann es nicht anders sein, dass sich auch dort rassistische Verhaltensweisen finden.» 

Nach ihrer Erfahrung ist niemand dagegen gefeit. Selbst in der Autonomen Schule komme es vor, dass Menschen wegen ihrer Herkunft oder Hautfarbe diskriminiert würden. Morellos Fazit: «Wir sollten uns alle selbstkritisch hinterfragen, wie weit wir mit Vorurteilen auf Fremde reagieren oder uns im Alltag  – vielleicht unbewusst – rassistisch verhalten.»