Glaube und Zweifel sind Geschwister

Bern

Klaus Bäumlin, der ehemalige Pfarrer in der Berner Nydeggkirche ist ein unermüdlicher Bibelvermittler. Er sorgt sich um die schwindende christliche Tradition.

Einen Spaziergang durch bald achtzig Lebensjahre kann man im Arbeitszimmer des Berner Theologen Klaus Bäumlin machen. Jedes Bild, jedes Buch, das Stehpult, der alte Holzofen, das Kindertischchen und die eleganten kleinen Skulpturen – alles hat seine Geschichte. Bäumlin wirbelt durch den grossen Raum mit Dachschräge, erzählt von alten Weggefährten und von seiner Anstellung als Ökumenischer Mitarbeiter in der DDR. Von seinem Grosssohn, der derzeit bei ihnen wohnt, und seiner Frau Ursula, mit denen er nicht nur engagierte Diskussionen führe, sondern auch den Spass am «höheren Blödsinn» teile.

Je länger er spricht, desto mehr wird seine Welt spürbar: eine Welt, in der das Wort im Zentrum steht, ganz besonders die Worte der Bibel. Fast zwanzig Jahre lang war Bäumlin Redaktor beim «saemann», danach von 1991 bis 2001 Pfarrer in der Berner Nydeggkirche. «Ich wollte mich wieder intensiver mit der Bibel befassen. Dafür war das Pfarramt ideal», erinnert er sich und gerät ins Schwärmen: Es sei doch fantastisch, was für ein schönes und interessantes Buch die Bibel sei. «Es ist eine einzigartige Sammlung von Texten aus mehreren Jahrhunderten.» Und dabei gehe es um die ewigen Fragen des Menschseins. «Natürlich muss man ein wenig Bescheid wissen über die historischen Hintergründe und das soziale Umfeld, in dem die Geschichten anzusiedeln sind.» Durch die richtige Vermittlung würden die biblischen Figuren und Szenen aber lebendig, und man entdecke eine überraschende Aktualität.

Fragen statt Dogmen. Klaus Bäumlin teilt sein enormes Wissen und seine Leidenschaft für die Bibel seit fünfzehn Jahren auch mit interessierten Laien an der Volkshochschule Bern (siehe Kasten). «Ich finde es grossartig, wenn die Leute realisieren, dass dieses Buch nicht dogmatische Antworten liefert, sondern zutiefst menschliche Konflikte beschreibt und Fragen stellt, die bis heute aktuell sind.» Ihn persönlich, der immer auch politisch und sozial interessiert war, prägte ganz besonders die Vision einer gerechten Welt, wie sie im Markus-Evangelium aufscheint. Und natürlich die Geschichte Jesu, die mit einer grossen Frage aufhört. «Jesus ist am Ende seines Lebens aus der Sicht der Menschen gescheitert. Der römische Hauptmann schaut zum Gekreuzigten auf und fragt: Ist das Gottes Sohn? Das Evangelium stellt die Leser vor diese Frage. Somit muss sie jeder für sich selber beantworten.» Das lasse auch Raum für Zweifel, fährt Bäumlin fort. Und nichts wäre fataler, als diese nicht ernst zu nehmen. «Der Zweifel ist die dunkle Schwester des Glaubens, beide müssen im intensiven Austausch sein. Natürlich hoffe ich für mich, dass der Glaube seine Schwester irgendwann überzeugen wird. Der Heilige Geist ist ja kein Skeptiker.»

Verschwundene Welt. Der Theologe macht sich grosse Sorgen: «In meinem Umfeld und leider auch ganz generell stelle ich fest, dass die biblische Welt und die christliche Tadition zunehmend eine verschwundene Welt ist. Das ist schwierig für mich. Umso mehr, als ich weiss, was einem da entgeht.» Er sieht die Säkularisierung, die zunehmende Verweltlichung unserer Gesellschaft jedoch nicht nur als ein Problem der Kirchen. «Sie ist Teil eines allgemeinen Desinteresses an Institutionen, die uns miteinander verbinden. Auch in der Politik, in sozialen Einrichtungen oder in den Medien ist eine Verdrossenheit und Abkehr spürbar», analysiert Bäumlin. Dagegen sei die Kirche machtlos, obwohl es sehr schmerzlich sei. «Das Christentum, die Kirche wird wohl zu einer kognitiven Minderheit», prophezeit er. Zu einer kleinen Gruppe, die aus ihrer spezifisch christlichen Tradition heraus die Welt erlebe.

«Meine Hoffnung ist einfach», meint er abschliessend, «dass sich deren Mitglieder nicht abschotten werden, sondern offen bleiben. Dass sie als wache Zeitgenossen kritisch mitdenken und sich engagieren.» So hätten Glaube und Kirche auch unter veränderten Bedingungen eine Zukunft. «Ich bin überzeugt, die Bibel wird auch diese Durststrecke überleben.»

Klaus Bäumlin, 79

Theologe, ehemaliger Pfarrer in der Kirche Nydegg, langjähriger «saemann»-Redaktor. Sein Kurs «Einführung in das Lukas-Evangelium» an der Volkshochschule Bern im Hauptgebäude der Universität startet am 9. 1. 2018 und umfasst sechs Kursabende, jeweils von 19.15–20.45 Uhr. Bäumlin gestaltet auch regelmässig Vespergottesdienste im Berner Münster. Der nächste findet am 2. 12. 2017 statt. Er lebt in Bern und ist verheiratet mit der SP-Alt-Nationalrätin Ursula Bäumlin.