Der Sommer 1995 war lange nicht so heiss wie der eben zu Ende gehende. Aber der 8. Juli, ein Samstag, war ein sonniger Tag. Und was sich da in der Stadtberner Nydeggkirche abspielte, sorgte noch wochenlang für heisse Köpfe. Klaus Bäumlin, der damals seit vier Jahren an der Nydegg Pfarrer war (nachdem er jahrelang «saemann»-Redaktionsleiter gewesen war), hatte für zwei homosexuelle Männer eine Segnungsfeier gehalten. Es war eine Premiere in der Schweiz. Die Medien hatten ihre Schlagzeilen. Und danach gingen die Wogen hoch auf den Leserbriefseiten.
Staunen. Klaus Bäumlin, heute 77-jährig und längst pensioniert, staunt heute noch über die vehementen Reaktionen. In zwei Ordnern hat er sie aufgehoben. «Im einen die positiven, im andern die negativen», schmunzelt er. Und die Ordner sind ungefähr gleich dick. Aber mehr noch als über das damalige Echo staunt Bäumlin darüber, wie viel seither in Sachen Akzeptanz von gleichgeschlechtlichen Paaren geschehen ist. Dass Bischof Huonder in diesen Wochen für einen anderen Eindruck sorgt, findet er nur «peinlich». Es zeige, wie weit weg der kirchliche Würdenträger von der Wirklichkeit offenbar sei.
Bäumlin hat 1995 die Segnungsfeier für die beiden Männer ganz bewusst abgehalten. Er sei als Sohn eines Pfarrers «in grösster Freiheit» aufgewachsen.Durch sein Studium, aber auch durch seine Frau Ursula, die für die SP im Nationalrat sass, sei er gewohnt gewesen, manches kritisch zu hinterfragen. Der Synodalrat – die Kirchenleitung – sah das Vorpreschen Bäumlins zwar nicht gerne, riet ihm gar davon ab, aber der Nydegg-Kirchgemeinderat stellte sich voll und ganz hinter seinen Pfarrer. Und die Kirchenordnung, die Bäumlin einige Jahre zuvor selber neu geschrieben hatte, sah auch keine Sanktionen gegen eine solche Feier vor.
Akzeptanz. Das Echo war dann trotzdem immens, und es überraschte den Pfarrer. «Aber ich nahms locker», sagt er rücblickend. Es habe auch einige gute Folgediskussionen gegeben, gerade auch mit älteren Kirchenmitgliedern. «Einige dachten wohl, wenn der Bäumlin das macht, dann ist es schon in Ordnung», vermutet er.
Ein Synodalrat sagte ihm später an einem Podiumsgespräch: «In ein paar Jahren sind wir wohl alle dort, wo du jetzt bist.» Dass es so gekommen ist, findet Bäumlin heute «absolut richtig». Er ist nach wie vor überzeugt, dass die Kirche eine Wiedergutmachungspflicht gegenüber Homosexuellen hat. Die jahrhundertelange Diskriminierung habe viel Leid angerichtet, «auch bei jenen, die in der Kirche arbeiteten».