Die dezent dekorierte Wohnung im Berner Mattequartier ist blitzblank. Ihrem kleinen Reich trägt Luana Masullo besonders Sorge. Die 22-Jährige ist vor vier Monaten aus dem Elternhaus ausgezogen, obwohl das Budget mit Psychologiestudium und Teilzeitjob für eine eigene Wohnung knapp ist. Doch als im Dezember ihre Mutter ins Pflegeheim kam, war es für die junge Frau an der Zeit, sich endlich einmal auch um sich selbst zu kümmern.
Schon als Achtjährige organisierte Luana, Älteste von drei Kindern, den Haushalt. Sie putzte die Böden, kaufte ein, half der Mutter beim Anziehen. «Meine Mutter erkrankte nach der Geburt meines jüngsten Geschwisters an einer schweren Depression, die sich später in eine bipolare Störung wandelte», erzählt die junge Frau bei dampfendem Kaffee in zwei neu gekauften Tassen an ihrem Esstisch.
Zeitweise hätten sie ihrer Mutter täglich zureden müssen, aufzustehen und sich anzuziehen. In ihren manischen Zuständen hätten sie sie bremsen müssen, weil sie planlos Einkäufe tätigte, herumtelefonierte und über die Strassen lief, ohne zu schauen. «Vor allem schlief sie wenig bis gar nicht, was uns immer wieder zu schaffen machte.»
Tipps reichen nicht
«Young Carers» ist der Fachbegriff für Kinder und Jugendliche, die ein Familienmitglied betreuen, und dies mit einem Mass an Verantwortung, das üblicherweise Erwachsene innehaben. Acht von 100 Kindern zwischen zehn und 15 Jahren leisten in der Schweiz signifikant mehr körperliche, emotionale und finanzielle Unterstützung und Hilfe im Haushalt als andere in ihrem Alter. Das zeigte eine Umfrage, welche die Careum-Hochschule Gesundheit, ein Teil der Schweizer Kalaidos-Fachhochschule, im Rahmen eines Forschungsprojekts 2018 durchführte. Doch kaum einer nimmt Young Carers und ihre oftmals komplexe Situation wahr.