Recherche 25. Juni 2020, von Rita Gianelli

Inspiriert von den Frauen der Bibel

Literatur

Désirée Bergauer-Dippenaars Weg von der Missionarstochter aus Taiwan zur Pfarrerin in Untervaz hat eine Konstante: die Poesie. Allen Frauen der Bibel widmet sie ein Gedicht.

Désirée Bergauer-Dippenaar, 28

Die Tochter einer Tessinerin und eines Südafrikaners ist mit Jan Bergauer verheiratet und spricht sieben Sprachen. Zu den Schwerpunkten ihrer seelsorgerlichen Arbeit gehören die Sterbebegleitung und die Trauerarbeit. Ihre Gedichte publiziert sie in ihrem Blog.

biblewomenpoetry.blogspot.com

Getüpfeltes Sommerkleid, Ballerinas und ein schüchternes Lächeln: Désirée Bergauer-Dippenaar wirkt eher wie eine Bücher verschlingende Missionarstochter denn als Pfarrerin einer Bündner Talgemeinde. Doch alles trifft auf sie zu. Sie liebt Bücher, vor allem die der Missionars­tochter Pearl S. Buck. Geboren und aufgewachsen ist sie als Tochter eines Missionarsehepaars in der Millionenstadt Taipei, Hauptstadt von Taiwan. Heute amtet sie als Pfarrerin in der rund 2300 Einwohner zäh­lenden Gemeinde Untervaz im Chu­rer Rheintal. Ein Gefühl von Zer­rissenheit sei zwar noch da. «Aber es ist nicht mehr lebensbestimmend», erzählt sie und streichelt dem schlafenden Kater zu ihren Füssen über den Kopf. «In Taiwan mussten wir unsere Katze zurücklassen.»

Debatten in der Familie

Am Rande eines Nationalparks, um­geben von Wasserbüffeln, Vulkanbergen und einer «sehr frommen» Gemeinschaft, erlebte sie eine unbeschwerte Kindheit. Das «Gläubig sein» empfand sie jedoch manchmal als eine Art Wettbewerb. «Oft hatte ich das Gefühl, nicht zu genügen», erinnert sie sich. Vielleicht aus Trotz habe sie irgendwann grossmäulig im Schulbus verkündet, dass sie vor­habe, Pfarrerin zu werden. «Ich war als Kind wohl eher vorlaut», meint sie und lächelt bei der Erinnerung daran. Wenn sie in Taiwan wegen ihrer blonden Locken und der blauen Augen angestarrt worden sei, starrte sie zurück, bis alle lachten. Das Ringen um den «richtigen» Glauben war auch in der Familie ein Thema. Oft diskutierte sie mit dem Vater über seine Predigten, welche er in der Kirche auf Chinesisch hielt. «Wenn ich etwas nicht verstand, über­setzte es mir meine Mutter flüsternd.» Was sie an der Bibel immer schon faszinierte, waren die Geschichten, in denen ­Frauen ­eine Rolle spielten. «Die ­Bibel ist keineswegs frauenfeindlich. Im Gegenteil», sagt sie. In vielen Büchern wer­den Frauen starke Rollen zugeschrieben. «Deborah zum Beispiel, die eine grosse Bewegung anführen muss, weil sich kein Mann dafür finden lässt.»
Ihr hat Désirée Bergauer ein Gedicht gewidmet, dessen erste Strophe folgendermassen lautet:
«Wenn Männer sich ver­stecken, / 
den Kopf im Sand ver­graben, /
kämpfe ich wie ein Mädchen. /
 Wenn Männer vor Angst erstarren, / 
das Herz in der Hose, / 
kämp­fe ich wie ein Mädchen. / 
Wenn kein Mann sich erhebt / 
das Schwert zu ergreifen / 
dann stehe ich auf /
 und kämpfe wie ein Mäd­chen.»
Allen Frauen der Bibel ein Gedicht zu widmen, ist ihr Ziel. Rund 180 sind es insgesamt. 141 hat sie bereits geschrieben – in Englisch, weil es ihr näher ist, da sie das Schreiben zuerst in dieser Sprache erlernte. «Schreiben hilft mir, meine Emotionen zu verarbeiten», sagt sie und der Kater hinter ihr regt sich.

Veränderung an der Uni

Nachdem die Familie Taiwan in Richtung Europa verlassen hatte, kehrte sie für eine weitere Missions­stelle nach Asien zurück, nach Singapur. «Es war wie heimkommen.» Doch nebst der Freude begann in der Mädchenschule, die sie besuchte, eine schwierige Zeit. Eiserner Drill herrschte. Sie erinnert sich an den Druck, möglichst gute Noten zu haben. In der Schweizer Oberstufe in Singapur, die sie danach besuchte, war es umgekehrt. «Da wurde ich gemobbt, weil ich nur gute Noten hatte.»
«O Herr, erbarme dich! /
Mein Glau­be lässt dich nicht los. / 
Dein Nein nimm ich nicht an, / 
sondern klammere mich fest / 
an deine Liebe und Gnad», wie die unbekannte Kanaanäerin in Bergauers Gedicht auf ein Wunder hofft, ihr Glaube möge ihre Tochter heilen, wünschte sich auch Désirée Bergauer Antworten auf die eigenen Sinnfragen. Es war ihr Vater, der sie ermunterte, Theologie an der Universität zu studieren. Heute sagt sie: «Die Uni hat mein religiöses Wissen erweitert und meinen Glauben verändert», sie öffnet das Fenster und der Kater tritt ins Freie, «einem Glauben, der nicht stresst.» Im Garten blüht der Ginsterstrauch. In Untervaz habe sie nach zwei Wochen mehr Menschen kennengelernt als in Zürich nach sechs Jahren. «Zum ersten Mal, seit ich in Europa bin, fühle ich mich daheim.»