Politik 16. Februar 2024, von Felix Reich

Die paradoxe Hoffnung

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Der jüdische Friedensaktivist Jochi Weil spricht über seinen Jugendtraum vom Frieden zwischen Israel und Palästina, an dem er festhält, obwohl er längst kaputt gegangen ist.

Sie engagieren sich seit Jahrzehnten in der Friedensarbeit in Israel und Palästina. Sind Projekte durch die Eskalation der Gewalt nach dem Angriff der Hamas vom 7. Oktober bedroht?

Jochi Weil: Was gewachsen ist, hält auch jetzt. Das zeigt sich nicht nur im Friedensdorf Neve Shalom, sondern auch im jüdisch-arabischen Verständigungszentrum Givat Haviva, das sich für Demokratie, Versöhnung und Gleichberechtigung einsetzt. Auf dem dortigen Campus fanden 260 Menschen Zuflucht, die sich vor der Hamas oder später vor dem Beschuss durch die Hisbollah in Sicherheit bringen mussten.

​Jochi Weil (81)

Jochi Weil arbeitete 31 Jahre lang für die Organisation Medico International Schweiz und war dort insbesondere verantwortlich für basismedizinische Projekte in Palästina/Israel. Er ist Mitglied der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich.

Ist Frieden überhaupt möglich?

Die Situation ist nicht erst seit dem Angriff vom 7. Oktober ungeheuer schwierig. Mein Jugendtraum von einem Staat in den Grenzen vor dem Junikrieg 1967, Seite an Seite mit Palästina, ist kaputtgegangen. Ich musste erkennen, dass eine Lösung des Konflikts zurzeit unmöglich ist. Und trotzdem gaben Sie nicht auf. Diese Erkenntnis gab mir auch ein Stück Freiheit. Seither konzentriere ich mich auf die Nanomillimeterarbeit: In kleinen, konzentrierten Schritten gehen wir den Weg zu Frieden und Versöhnung weiter.

Und was braucht es dafür?

Empathie. Und Ambiguitätstoleranz: die Fähigkeit, unterschiedliche Perspektiven einzunehmen und daraus resultierende Widersprüche auszuhalten. Mein Traum ist Lichtjahre entfernt, ganz ausgeträumt habe ich ihn dennoch nicht. Das ist meine paradoxe Hoffnung.

Nährt der Glaube diese Hoffnung?

Auf jeden Fall. Am Schabbat bin ich meist der Erste in der Synagoge. Ich habe den Raum zuerst für mich allein, ein angenehmes Gefühl. Der Gottesdienst in der modernen orthodoxen Synagoge dauert jeweils zweieinhalb Stunden und läuft seit Jahrhunderten immer gleich ab. Danach bin ich nicht selten ganz bei mir. Das Gebet verleiht mir innere Kraft.