Ein Licht des Friedens in der Nacht des Kriegs

Gemeinschaft

Im Friedensdorf Neve Shalom / Wahat al-Salam wohnen israelische und palästinensische Familien. Auch im Krieg halten sie über die Religionsgrenzen hinweg zusammen.

Ein Licht in einer dunklen Zeit anzuzünden, ist der Sinn der Adventszeit. Auch die Jüdinnen und Juden feiern vom 8. bis zum 15. Dezember das Lichterfest Chanukka. Im Friedensdorf Neve Shalom findet beides zusammen. Und sein Licht leuchtet in einer besonders dunklen Zeit.

Der Terrorangriff der Hamas auf israelische Zivilisten habe Verwirrung und Empörung ausgelöst, sagt Samah Salaime. Die muslimische Palästinenserin wohnt seit 23 Jahren im Friedensdorf, in dem Juden, Muslime und Christen zusammenleben. Sie ist Sozialarbeiterin und leitet das Büro für Kommunikation und Entwicklung des Dorfes. Die ganze Gemeinschaft stehe unter Trauer und Schock. «Wir merken, dass wir einander tatsächlich brauchen, zusammenbleiben und das Wohlergehen dieser friedlichen Gemeinschaft aufrechterhalten müssen.» Männer aus dem Dorf wurden nach dem Angriff in die israelische Armee eingezogen.

Die Schule ist wichtig

Nach dem Terroranschlag traf sich das Dorf zur Vollversammlung. Danach wurden Dialog­gruppen gebildet. Zuerst blieben die Israelis sowie die Palästinenser und Palästinenserinnen unter sich, erst später fanden die Gespräche über nationale Zugehörigkeiten hinweg statt. «Im wöchentlichen Dialog können wir uns gegenseitig sozial und emotional unterstützen», sagt Salaime.

Auf das alltägliche Zusammenleben hat der Krieg keinen Einfluss. «Nachbarn helfen einander, egal welcher Nation oder Religion sie angehörten», sagt Salaime. Jene Leute, die noch nicht lange in Neve Shalom lebten, würden am meisten leiden. «Es ist ihr erster Krieg hier.»

Aus Sicherheitsgründen blieben Kindergarten und Primarschule im Dorf zwei Wochen lang zu, die Kinder erhielten Fernunterricht. «Die Schulschliessung brachte auch die Eltern in eine Krise», sagt Salaime. Sie beschreibt die Rückkehr in den regulären Schulbetrieb als ein sehr eindrückliches Erlebnis: «Der Kontakt der Kinder untereinander und zu den Lehrpersonen war nötig, sie gewannen Abstand zu ihren Sorgen, zur Traurigkeit und Angst.»

Im Teufelskreis der Gewalt

Im Dorf aufgewachsen und mit seiner Familie inzwischen dahin zurückgekehrt ist Maayan Schwartz. Der israelische Fotograf und Filmemacher kann zurzeit nicht arbeiten, weil alle Aufträge auf Eis liegen. Er beschreibt den Stillstand unmittelbar nach dem Terrorangriff, als die Kinder nicht zur Schule konnten, als sehr belastend.

Noch immer fällt es dem 36-jährigen Familienvater schwer, «Hoffnung zu finden». Vielleicht verstünden die Menschen jedoch nun nach all diesem Leid, «dass wir so nicht weitermachen können». Jetzt seien Schritte nötig, aus dem Teufelskreis der Gewalt auszubrechen.

Nehmen die Menschen nur die eigene Perspektive ein, werden sie apathisch ge­genüber dem Leid auf der anderen Seite. Das ist das Gefährlichste, was passieren kann.
Maayan Schwartz, 36, Fotograf und Filmemacher

Schwartz warnt davor, in der jetzigen Konfrontation «oberflächliche Schlüsse zu ziehen». Es sei wichtig, sich aus dem Schwarz-Weiss-Denken zu befreien und zu verstehen, dass beide Seiten ihre je eigenen Narrative hätten. «Wenn die Menschen nur noch ihre eigene Perspektive haben, werden sie apathisch gegenüber dem Leiden der anderen Seite, und das ist das Gefährlichste, was passieren kann.»

Ein Beispiel für die Welt

Die Bewohnerinnen und Bewohner des Dorfes leisten zurzeit psychologische Hilfe für Menschen aus Israel, die ihre nahe am Gazastreifen gelegenen Häuser verlassen mussten. Einige evakuierte Familien konnten in Neve Shalom untergebracht werden. Auch einer Schule mit 60 Kindern wurden Räume zur Verfügung gestellt, ihre Schule hatte wegen fehlender Schutzräume schliessen müssen. Darüber hinaus leistet die Dorfgemeinschaft humanitäre Hilfe für die Spitäler in Gaza. «Es ist sehr wichtig, dort präsent zu sein und die Botschaft des Friedens an alle auszusenden», betont Salaime.

Trotz ihres Engagements sieht auch Salaime noch kein Licht am Ende des Tunnels. «Aber immer mehr Menschen erkennen, dass es keine Abkürzung zu einer friedlichen Gesellschaft geben kann und keine Alternative besteht zur Koexistenz.» Die Einsicht mache Hoffnung. Ermutigend sei zudem, dass bisher niemand das Dorf verlassen habe. «Wir merken, wie sehr es uns braucht in dieser Welt», sagt die Friedensaktivistin Salaime.