Vor bald einem Jahr berichtete die interreligiöse Zeitung «zVisite», an der sich auch «reformiert.» beteiligt, über das Friedensdorf Neve Shalom Wahat al Salam in Israel. Das Dorf wurde Anfang der 1970er-Jahre von Bruno Hussar gegründet, einem in Ägypten geborenen Juden und späteren Dominikanerpater in Israel. «Heute leben hier rund 300 Juden und Araber friedlich zusammen», schrieb «zVisite»-Redaktor Christoph Knoch letztes Jahr. Wie ist hier die Situation heute, nach dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober?
«Wir stehen zueinander, gerade auch jetzt»
Im Friedensdorf Neve Shalom Wahat al Salam wie auch in der Schweiz pflegen jüdische und muslimische Menschen Beziehungen. Die Eskalation im Nahen Osten stellt diese auf die Probe.
«Wir stehen zueinander und nebeneinander, wir wohnen miteinander und unterstützen uns. Gerade auch jetzt», sagt die Palästinenserin Samah Salaime auf Nachfrage. Sie ist verantwortlich für Kommunikation und Aussenkontakte im Friedensdorfes. «Wir haben alle Angst, denn die Raketen fliegen auch in unsere Richtung, und wir hören die Flugzeuge, die Richtung Gaza fliegen. Manchmal hören wir sogar die Explosionen der abgeworfenen Bomben», berichtet sie.
Jetzt erst recht engagiert für den Frieden
Es gehe ihnen gut in ihrem Dorf, sagt Salaime. Aber es sei noch nie so schwierig gewesen wie jetzt, denn alle würden Menschen kennen, die ermordet oder verschleppt wurden oder in den Kämpfen gefallen seien. Salaime nennt ein persönliches Beispiel. Sie ist in Kontakt mit der aus Gaza stammenden Präsidentin der «Freunde von Neve Shalom Wahat al Salam» in den USA. Die Präsidentin habe erzählt, dass am Montag 13 ihrer Verwandten im Gazastreifen umgekommen seien. «Das erschüttert uns», sagt Salaime.
Trotz allem werde sie sich jetzt erst recht für Neve Shalom Wahat al Salam einsetzen. «Es muss Frieden geben, denn wir wollen alle einfach leben können. Gewalt und Gegengewalt müssen aufhören. Auch wenn es jetzt schwer ist, darauf zu hoffen.» Salaime betont, dass auch die Menschen im Gazastreifen sich vor allem Freiheit wünschten. «Unsere Meinungen zu äussern, reisen zu können, eine anständige Arbeit zu haben, ein Leben zu führen wie alle Menschen. Einfach in Frieden und nicht ständig in der Angst vor Angriffen leben zu müssen.»
Die einen werden ins Militär eingezogen, die anderen nicht
Im Friedensdorf lebt auch der jüdische Filmemacher Maayan Schwartz. Er sei – wie alle – schockiert und entsetzt über diesen Gewaltausbruch, den es so noch nie gegeben habe, sagt er gegenüber «reformiert.». «Whatsapp und andere Kanäle liefen bei früheren Konflikten heiss. Diesmal ist es erschreckend still zwischen uns im Dorf».
Maayan Schwartz spürt in diesen Tagen den Graben ganz besonders: «Wir als jüdische Israelis müssen ins Militär. Unsere palästinensisch-muslimischen und palästinensisch-christlichen Freundinnen und Freunde im Dorf werden nicht eingezogen.» Selten sei es so klar wie in diesen Tagen, wozu es das Militär brauche. «Doch mit Gewalt und Gegengewalt lässt sich der Konflikt in diesem Land nie lösen, seit über 100 Jahren ist es immer gleich.» Das mache müde.
Der Rat der Religionen und die EKS verurteilen den Angriff
Sowohl der Schweizerische Rat der Religionen wie auch die Evangelische Kirche Schweiz (EKS) äusserten sich zum Angriff auf Israel. Beide Organisationen verurteilen ihn als «terroristisch und menschenverachtend» und drücken ihre Solidarität mit den Opfern und ihren Angehörigen aus. Die EKS bietet zudem dem Schweizerisch Israelischen Gemeindebund ihre Unterstützung an. Der Rat der Religionen fordert die Hamas zur Freilassung der Geiseln und die internationale Gemeinschaft zur Bemühung um eine friedliche und nachhaltige Lösung der Krise auf.
Shireen Najjar und ihre Kolleginnen arbeiten mit Kindern im Dorf. Shireen betont, wie es gerade in diesen schrecklichen Tagen wichtig sei, dass sie den Frieden in der Gemeinschaft erhalten und Kindern und Eltern Geborgenheit vermitteln wollen. «Dank unseres Dorfes gelingt das.»
Solidarität im Haus der Religionen
Auch in der Schweiz stehen jüdische und muslimische Gemeinschaften in regelmässigem interreligiösem Austausch. Die aktuellen Ereignisse führen auch hier zu Reaktionen. So etwa im Haus der Religionen in Bern. «Die Betroffenheit ist gross», sagt Geschäftsleiterin Karin Mykytjuk. Der Gewaltausbruch im Nahen Osten in den letzten Tagen habe eine grosse Solidarität zwischen den verscheidenden im Haus engagierten Religionsgemeinschaften ausgelöst.
Schon am Sonntag – einen Tag, nachdem die Angriffe der Hamas begonnen hatten – veröffentlichte der Muslimische Verein Bern eine Medienmitteilung. In dieser Botschaft verurteilte er die Tat als «grausamen, menschenverachtenden Terror». Der Verein verurteile die Morde und stehe mitfühlend an der Seite der israelischen Bürger und Bürgerinnen sowie der jüdischen Menschen in der Schweiz. «Die jüdische Gemeinde hat es sehr geschätzt, dass der muslimische Verein so schnell von sich aus reagiert hat», sagt Mykytjuk.
Der persönliche Kontakt trägt in der Krise
Der Austausch im Zusammenhang mit der aktuellen Situation in Israel läuft gemäss Mykytjuk informell und direkt unter den im Haus engagierten Menschen. «Viele Leute haben Kärtchen, SMS und Whatsapp-Nachrichten geschrieben.» Das Haus der Religionen gebe den Leuten seit Jahren Halt. «Der persönliche Kontakt, der Austausch und die Solidarität sind tragend.» In Krisensituationen wie jetzt könne man sich darauf abstützen.
Evangelische Gemeinde und Caritas-Kinderspital sagen Feiern ab
Die Evangelische Erlöserkirche in Jerusalem hätte in diesem Monat ihren 125. Geburtstag feiern wollen. Wegen der Terrorangriffe der Hamas und des begonnenen Krieges hat sie die geplanten Festveranstaltungen abgesagt. «Wir wollen sie gern später nachholen; jetzt ist nicht Zeit zu feiern», heisst es in der Mitteilung der Evangelischen Gemeinde in Jerusalem. Die Gemeinde betrauere sowohl die Terroropfer in Israel als auch die Kriegsopfer im Gazastreifen und bete um Frieden für das Heilige Land.
Angesichts der herrschenden Gewalt und Unsicherheit haben der CEO des Caritas Baby Hospitals und das Präsidium der Kinderhilfe Bethlehem beschlossen, die für den 22. Oktober geplanten Feierlichkeiten zum 70-jährigen Bestehen des Spitals ebenfalls abzusagen. In so einer «dramatischen und von unvorstellbarem Leid und Gewalt geprägten Situation» sei kein Platz zum Feiern, schreibt die Kinderhilfe Bethlehem in ihrer Mitteilung.
Die aktuelle Lage beeinflusse auch die Arbeit des Spitals. Wegen der Abriegelung des Westjordanlands durch die israelische Regierung habe die palästinensische Bevölkerung und somit viele Patienten und Patientinnen keinen Zugang mehr zum Spital in Bethlehem. Das Spitalpersonal versucht, die Versorgung von chronischen Patienten und Patientinnen mit Medikamenten und den Spitalbetrieb aufrecht zu erhalten.
Insofern sieht Mykytjuk in den aktuellen Angriffen keine Gefahr für den interreligiösen Dialog, im Gegenteil. «Es könnte eine Chance sein, dass die Intensität des Kontakts und die Beschäftigung mit dem Thema dadurch zunehmen, man sich selbst neu verortet und eine eigene Haltung dazu findet.»
Die bisherigen Reaktionen im Haus der Religionen auf die Ereignisse in Israel erfolgten autonom durch die verschiedenen Gruppen und Einzelpersonen. «In der Vorstandssitzung nächste Woche diskutieren wir, ob wir noch mehr tun können, als Solidarität und Mitgefühl auszudrücken», sagt Mykytjuk. Vielleicht könne das Haus als Ort des Dialogs einen Beitrag für den Frieden leisten.