Recherche 13. Oktober 2023, von Tilmann Zuber

Palästina: Friedensarbeit unter Druck

Eskalation im Nahen Osten

Seit Jahren engagieren sich das HEKS und andere Organisationen für den Frieden im Nahen Osten. Die Terroranschläge verändern erneut die Ausgangslage in diesem Friedensprozess.

Die Terroranschläge der Hamas in Israel und die darauffolgende Bombardierung des Gazastreifens erschüttern auch die Friedensbemühungen der Schweizer Hilfswerke. Zurzeit laufen die Vorbereitungen für den Weltgebetstag 2024. Am ersten Freitag im März feiern Frauen rund um den Globus einen Gottesdienst, der jeweils ein Land in den Mittelpunkt rückt. Die Feier soll ein Zeichen der Solidarität mit den einheimischen Frauen setzen. Meist weist die Liturgie auf soziale Brennpunkte hin.

Die Liturgie des kommenden Weltgebetstags wurde von christlichen Palästinenserinnen verfasst. Schon vor den Terroranschlägen sei man sich bewusst gewesen, wie heikel und kompliziert die Situation in Israel und Palästina sei, erklärt Vroni Peterhans, Präsidentin von Weltgebetstag Schweiz. Deshalb habe man jedes Wort auf die Goldwaage gelegt. Die Texte sprechen nicht von Palästina, sondern von Palästinenserinnen. Für die Feiern in Deutschland, Österreich und der Schweiz habe man das eigene Motto «Durch das Band des Friedens» gewählt. Man wolle den Frieden ins Zentrum der Feier stellen und bete deshalb nie für ein Land oder eine Politik, sondern für die Menschen. Der grösste Teil der Kollekte des Weltgebetstags komme Projekten in der ganzen Welt zugute, nur ein Teil fliesse nach Palästina und dort unter anderem in Friedensprojekte, versichert Vroni Peterhans.

Wir stellen den Frieden ins Zentrum und beten nie für ein Land oder eine Politik, sondern für die Menschen.
Vroni Peterhans, Präsidentin von Weltgebetstag Schweiz

Auch für das Hilfswerk der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz HEKS dürfte die Arbeit schwieriger werden. Seit vielen Jahren unterhält HEKS Projekte in Israel und den palästinensischen Gebieten. «Wir arbeiten dabei mit israelischen und palästinensischen NGOs zusammen», sagt HEKS-Sprecher Dieter Wüthrich.

In einer Stellungnahme verurteilt HEKS die schrecklichen Angriffe bewaffneter Gruppen auf Israel und die israelische Zivilbevölkerung. Die Gräueltaten seien in keiner Weise zu rechtfertigen. Sie richteten sich gegen die Zivilbevölkerung und stellten somit ein Kriegsverbrechen dar, so Wüthrich.

Das HEKS unterstützt Projekte in Palästina weiterhin

Gleichzeitig, so Wüthrich, müsse man die Eskalation der Gewalt auch vor dem Hintergrund der Entwicklung der letzten zwanzig Jahre sehen. Das Leben der 2,3 Millionen Palästinenser im Gazastreifen sei seit Jahren extrem schwierig. HEKS erinnert daran, dass Gaza seit 16 Jahren unter einer Blockade steht und die Menschen dort unter einer humanitären Krise leiden. Diese Situation bilde den Nährboden mit, auf dem die Saat von Terrororganisationen wie der Hamas aufgehen und wachsen könne.

Inzwischen wird der Ruf in der Politik laut, die Gelder nach Palästina zu stoppen. HEKS wird weiterhin Projekte in Palästina unterstützen. Das Engagement von HEKS in Israel/Palästina hat immer wieder zu Kontroversen geführt. Das Hilfswerk ist aber überzeugt, dass Frieden nur auf dem Verhandlungsweg möglich sei. Deshalb fördere HEKS weiter den Dialog zwischen Palästinensern und Israelis, so Wüthrich. Zudem sei es nun wichtiger denn je, auf beiden Seiten jene zu stärken, welche sich für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzten.

Friedensdorf Neve Shalom erhöht Sicherheitsmassnahmen

Betroffen ist auch die Arbeit von Neve Shalom (siehe auch den Bericht «Wir stehen zueinander, gerade auch jetzt»). Der Friedenskibbuz, in dem Palästinenser, Araber und Israelis zusammenleben und Schulen betreiben, wird von der Schweiz aus unterstützt. «Wir trauern um alle Toten auf beiden Seiten der Grenze und fühlen mit den Familien, die ihre Angehörige verloren haben», schreibt Neve Shalom. Das Friedensprojekt hält weiterhin an der Überzeugung fest, «dass der von uns gewählte Weg der einzige Weg zu Vernunft und Frieden ist», selbst wenn dieser Weg jetzt angegriffen wurde.

Um mit der neuen Realität fertig zu werden, wurden die Sicherheitsmassnahmen innerhalb des Dorfes erhöht, Bereitschaftsgruppen wurden gebildet und alle Schutzräume geöffnet. Die Schulen sind vorerst geschlossen und die Institutionen werden von den örtlichen Behörden auf mögliche Gefahren vorbereitet. Doch Neve Schalom ist überzeugt: «Es gibt keine echte Lösung ohne echten Frieden. Wir können nicht ruhig und sicher leben, ohne die vollen Rechte jedes einzelnen Menschen, ob Palästinenser, Israeli, Moslem oder Christ, die wir alle zwischen dem Fluss und dem Meer leben, anzuerkennen.» Wir alle bräuchten ein Leben in Sicherheit, Freiheit und vollständiger Demokratie.