Kampf gegen hohe Medikamentenpreise

Medikamente

Wem stehen welche Medikamente zu? Seit einiger Zeit wird diskutiert, dass nicht mehr alle alles bekommen sollen. Ist das ethisch vertretbar?

Wer in der Schweiz krank ist, bekommt die bestmögliche medizinische Behandlung. Davon gingen bisher die meisten Menschen in unserem Land aus. Neuerdings diskutieren jedoch Gesundheitsökonomen, Ärztinnen und Politiker, ob man medizinische Leistungen limitieren dürfe oder gar müsse, was bedeuten würde, dass nicht mehr allen alles zustehen würde. Masslos ungerecht finden das die einen, dringend notwendig die anderen.

Überteuerte Medikamente

Die Gesundheitskosten steigen laut der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich jährlich um über drei Prozent, und der öffentliche Druck auf das Gesundheitssystem nimmt unter diesem Vorzeichen massiv zu. Nun schlägt die Nichtregierungsorganisation Public Eye Alarm und fordert den Bundesrat auf, sich für bezahlbare Medikamente einzusetzen. Notwendig dafür seien Kostentransparenz und sogenannte Zwangslizenzen. Diese würden es beispielsweise einem Generika-Hersteller ermöglichen, ein Medikament trotz Patentschutz günstiger zu produzieren. Unterstützt wird die Kampagne von der Krebsliga und der Stiftung Krebsforschung Schweiz. Deren Präsident, der Onkologe Thomas Cerny, ist überzeugt: Kostentreiber Nummer eins sind die überteuerten Medikamente. «Die Pharmafirmen machen auf dem Rücken der Gesellschaft riesige Gewinne und fördern die Mehrklassenmedizin.» Ein Pharmaunternehmen erwerbe ein Medikament erst nach der Patentierung und verbuche dann die Gewinne zu hundert Prozent für sich. «Die hohen Profite der Pharmaindustrie basieren zu einem grossen Teil auf den enormen Investitionen der Öffentlichkeit in die Grundlagenforschung. Die Bürger zahlen zweimal, und erst noch zu überteuerten Preisen», meint Cerny.

Verdeckte Rationierung

Was kann und will sich die Gesellschaft noch leisten? Sind Therapiekosten von 100 000 Franken pro Jahr für die Behandlung einer Krebserkrankung zu viel? Darf ein Krankenversicherer eine Therapie aus Kostengründen abbrechen? Solch heikle Fragen stelle ein solidarisches Gesundheitssystem vor massive Probleme, sagt der Onkologe Thomas Cerny. «Die Gesundheit der Bevölkerung ist ein Verfassungsauftrag. Allen sollte die bestmögliche Behandlung zugänglich sein. Diese Prämisse ist jedoch zunehmend gefährdet.»

Auf steigende Gesundheitskosten reagieren die Versicherer, indem sie den Sparhebel ansetzen. Genau das passiere längst, sagt Ruth Baumann-Hölzle, Theologin und Leiterin des Instituts Dialog und Ethik. Genaue Zahlen, wie häufig Behandlungen aus Kostengründen nicht gemacht würden, lägen keine vor, doch gerade bei alten Menschen werde etwa bei der Rehabilitation gespart. Oder es fehle an Geld für würdevolle Betreuung am Lebensende. Das sei nichts als verdeckte Rationierung, unethisch und reine Ablenkung vom eigentlichen Problem: den überhöhten Preisen bei Medikamenten und anderen Medizinalprodukten.

Innovation als Rohstoff

Diesen Vorwurf weist Sara Käch, Kommunikationsleiterin von Interpharma, dem Verband der forschenden pharmazeutischen Firmen der Schweiz, entschieden zurück. Auch lehnt sie die Forderung von Public Eye, Zwangslizenzen durchzusetzen, ab. Grundlagen dafür gebe es mit gutem Grund keine. «Der Patentschutz ist die Voraussetzung für Innovation und Entwicklung von neuen Arzneimitteln. Ein solch massiver staatlicher Eingriff würde den Innovationsstandort Schweiz erheblich schwächen.» Wissen und Forschung seien, so Käch, die «Rohstoffe», die einen wesentlichen Teil des Schweizer Wohlstands sicherten. «Man sollte nicht am Ast sägen, auf dem man sitzt.» Natürlich profitiert die Schweizer Bevölkerung von den Gewinnen der Pharmaindustrie, etwa durch beträchtliche Steuereinnahmen und attraktive Arbeitsplätze. Gleichzeitig kann man sich selbst in der reichen Schweiz teure Medikamente kaum mehr leisten. Markus Zimmermann, Vizepräsident der Nationalen Ethikkommission, hält dagegen: Die Schweiz habe im Gegensatz zu Niedriglohnländern ein extrem hohes Versorgungsniveau.

«Trotzdem ist es bereits heute unmöglich, alle bekannten Massnahmen und Medikamente allen Behandlungsbedürftigen zur Verfügung zu stellen. Die Gesundheitskosten würden enorm steigen.» Begrenzungen findet Zimmermann nicht per se unverantwortlich: «Aus ethischem Blickwinkel ist es wichtig, dass die Entscheide darüber, wer was bekommt, transparent gemacht und begründet werden. Nur so kann die öffentliche Debatte über die angewandten Kriterien stattfinden.»