«Bischöfe verstehen nicht, wie Medien heute funktionieren»

Katholische Kirche

Beiträge auf dem Portal kath.ch würden Gläubige verletzen, finden Bischöfe und konservative Katholiken. Chefredaktor Charles Martig verteidigt seinen Journalismus.

Das katholische Medienportal kath.ch steht bei Konservativen in Ungnade. Die Bischöfe und Territorialäbte seien «seit längerem besorgt über einige Artikel, die auf kath.ch veröffentlicht werden», heisst es in der Mitteilung der Schweizer Bischofskonferenz vom 12. Juni zur Vollversammlung der Bischöfe in Einsiedeln. 

Die Bischöfe stufen kürzlich erschienene Artikel über die Jungfrau Maria, die Diözese Chur oder die Diözese Lausanne, Genf und Freiburg als «in mehrfacher Hinsicht sehr problematisch» ein. Die Beiträge verletzten Gläubige und führten bei diesen zu Unverständnis und Wut. «Weil das Rahmenstatut sowieso angepasst werden muss, überlegen sich die Mitglieder der Schweizer Bischofskonferenz, ob und in welchem Rahmen es sinnvoll ist, den diesem Medium erteilten Auftrag beizubehalten», heisst es. 

Charles Martig ist Chefredaktor und Direktor von kath.ch. Die Kritik kann er nicht nachvollziehen, wie er im schriftlich geführten Interview deutlich macht. Er begründet die redaktionellen Entscheide und Inhalte des Medienportals mit journalistischen Kriterien und dem offiziellen Auftrag an das Portal. 

Kaum sind Sie angetreten als Nachfolger des kritisierten Raphael Rauch, bricht der Konflikt zwischen den Bischöfen und dem Medienportal wieder auf. Wo liegt das Problem? 

Charles Martig: Es geht bei diesem Konflikt nicht nur um Personen. Es handelt sich um ein systemisches Problem. Die katholische Kirche gibt den Auftrag an kath.ch, nach journalistischen Regeln und Qualitätsstandards ein Medienportal zu betreiben und News zu Religion, Politik und Gesellschaft zu veröffentlichen. Dabei geht es mir als Chefredaktor um die journalistische Unabhängigkeit dieser Arbeit. Wenn wir unabhängig sind, wirken wir auch glaubwürdig nach aussen. Gleichzeitig verstehen die Bischöfe nicht, wie Medien heute funktionieren. Sie wollen den Stil und die Art und Weise des journalistischen Handelns kontrollieren. Das ist für unsere Arbeitsethik und unser glaubwürdiges Handeln ein No-Go.

Charles Martig, 57

Der promovierte Theologe übernahm die Leitung der Redaktion kath.ch am 23. März 2023. Unter dem journalistischen Anspruch «katholisch, aktuell, relevant» will er mit der Redaktion für mehr Transparenz in der katholischen Kirche sorgen: «kath.ch ist innerhalb und ausserhalb der Kirche zu einer starken Referenz geworden. Deshalb wollen wir den journalistischen Zugang zu relevanten Themen konsequent weiterführen.» Martig studierte Theologie (Dissertation 2007), Kommunikation und Medienwissenschaften. Von 1994 bis 2014 arbeitete er beim Katholischen Mediendienst als Filmbeauftragter und war 2002 bis 2014 Geschäftsführer dieser Nonprofit-Organisation. Seit 2015 ist Martig Direktor des Katholischen Medienzentrums in Zürich.

Was sagen Sie zu den Vorwürfen der Bischöfe und der Organisation Pro Ecclesia, kath.ch verletze die Gefühle vieler gläubiger Menschen? 

Pro Ecclesia ist eine katholische Splittergruppe am rechten Rand der Kirche. Sie hat wegen einer Artikel-Serie von kath.ch über die vier Marien-Dogmen eine Petition gestartet. Uns geht es um eine historisch-kritische Aufarbeitung dieser Dogmen. Dabei erklärt die Historikerin Annalena Müller, in welchem politisch-religiösen Umfeld die Dogmen entstanden sind. Wir wollen keine religiösen Gefühle verletzen, sondern aufzeigen, wie diese Glaubenssätze entstanden sind. Die Petition der Pro Ecclesia richtet sich an die Schweizer Bischöfe und zielt einzig und allein darauf, die Arbeit von kath.ch zu diskreditieren.   

Wo wäre Ihrer Ansicht nach eine rote Linie zu ziehen, um Gläubige nicht zu verletzen?  

Sicher nicht bei einer Einführung zu den Marien-Dogmen, die in jedem katholischen Theologiestudium vorkommt und den Stand der historischen Forschung zeigt. Grenzen gibt es generell bei den Persönlichkeitsrechten und beim Schutz der menschlichen Würde. Zum Beispiel bei Trauerfeiern, bei Menschen die im Gebet versunken sind. Es geht also um konkrete religiöse Vollzüge wie die Eucharistie, die eine religiöse Intimität verlangen. Darüber hinaus ist die Verletzung religiöser Gefühle sehr unterschiedlich definiert, also kulturell formatiert. Gerade weil es sich um Gefühle handelt, sind sie nicht eindeutig definiert. Hier spielen Weltbilder und religiöse Ideologien ein grosse Rolle.

Viele heutige Gläubige können mit Theologie, Dogmen und Traditionen wenig anfangen, sowohl bei den Katholiken wie auch bei den Reformierten. Da braucht es einen zeitgemässen Journalismus, der auch mal Dinge in Frage stellt oder in die Gegenwart herunterbricht. Wissen das die Bischöfe im Grunde nicht auch?

Wir sprechen auf kath.ch ein breites Publikum an. Viele Menschen haben einen Traditionsbruch erlebt und wissen wenig über die katholische Kirche, ihre Traditionen, über religiöse Ikonographie und Rituale. Wir vermitteln auf kath.ch Wissen über Religion und Kirche mit verständlichen Texten, mit Videos auf YouTube – zum Beispiel in der Videoserie «Wie geht katholisch?». In einfachen Videos erklären Theolog:innen die Feste im Jahreskreis. Im Podcast «Laut & Leis» gibt es vertiefende Gespräche zu Religion, Gesellschaft und Ethik. – Es ist auch den Bischöfen klar, dass ein zeitgemässer Journalismus notwendig ist. Aber sie leben noch immer in einer medialen Welt, die vor etwa 20 Jahren gültig war. Die massiven Auswirkungen der digitalen Transformation auf den Journalismus nehmen sie nicht wahr. Die innerkirchliche Welt und die Medienwelt driften immer weiter auseinander. 

Die Kritik an den genannten Artikeln wurde nicht direkt mit uns besprochen. Deshalb hat mich die massive Kritik überrascht.

Sie sagen gegenüber der NZZ, die jüngste Kritik der Bischöfe sei erfolgt, ohne Sie vorgängig zu kontaktieren. Wie erklären Sie sich das? 

Es gab keine verbindlichen Gespräche über die Artikel der letzten Monate. Natürlich gab es einzelne Hinweise und kritische Bemerkungen. Aber die Kritik an den genannten Artikeln wurde nicht direkt mit uns besprochen. Deshalb hat mich die massive Kritik überrascht.  

Wie wird kath.ch finanziert?  

Das Katholische Medienzentrum ist zu 60 % aus Beiträgen der nationalen Mitfinanzierung gespeist. Dabei handelt es sich um Kirchensteuern. Der nationale Zusammenschluss der Kantonalkirchen, die Römisch-katholische Zentralkonferenz, entscheidet über die Verteilung der Mittel. Dies tut sie in Zusammenarbeit mit der Bischofskonferenz. Zudem beruht 40 % unseres Budgets auf Erträgen aus Dienstleistungen.

Und was ist unter der Ankündigung der Bischöfe, den Auftrag an kath.ch allenfalls neu zu definieren, konkret zu verstehen?

Die Bischöfe sind an die nationalen Verträge und Leistungsvereinbarungen gebunden. Sie können nicht alleine entscheiden – also auch nicht den Auftrag im Alleingang zurückziehen. Die Finanzierung von kath.ch ist deshalb nicht unmittelbar gefährdet. Um den Auftrag neu zu definieren braucht es alle Partner in der katholischen Kirche der Schweiz. Es gibt also «Checks and Balances». Dieses System hat gerade in Konfliktsituationen grosse Stärken.

Wenn unser Journalismus zu einem Stellenabbau führen sollte, wäre das ein Bankrott-Erklärung für die katholische Kirche. Die innerkirchliche Medien- und Meinungsfreiheit wäre nicht mehr gegeben.

Fürchten Sie einen Stellenabbau? Damit liesse sich ja eine Verschiebung vom kritischen Recherchierjournalismus zum konformen Verlautbarungsjournalismus erzwingen. 

Kath.ch kann es nur als publizistische Plattform geben. Recherchier-Journalismus ist der Kern unseres Auftrags. Wir verstehen uns als vierte Gewalt, die besonders auch in der Kirche wirken muss. Der Umgang mit Macht wird in der Kirche derzeit stark kritisiert, meiner Meinung nach zu Recht. Wenn unser Journalismus zu einem Stellenabbau führen sollte, wäre das ein Bankrott-Erklärung für die katholische Kirche. Die innerkirchliche Medien- und Meinungsfreiheit wäre nicht mehr gegeben. 

Für welchen journalistischen Kurs stehen Sie bei kath.ch ein? 

Wir sind katholisch, aktuell und relevant. Katholisch ist hier als eine Entgrenzung zu verstehen: Wir öffnen uns für die Gesellschaft, für Ethik und Lebensfragen, für Politik und Gesellschaft. Wir behandeln dabei insbesondere die Reformanliegen in der katholischen Kirche und fassen die heissen Eisen an. Wir stehen für einen kritischen Qualitäts-Journalismus in der Kirche. 

Eigentlich hatte man sich im Rahmen einer Mediation darauf geeinigt, Differenzen zwischen der Bischofskonferenz und kath.ch intern zu bereinigen. Warum wird diese Angelegenheit jetzt doch wieder öffentlich? 

Das müssen Sie die Bischofskonferenz fragen. Wir von kath.ch haben uns stets auf die Vertraulichkeit der Mediation verpflichtet. Das verlangt unsere journalistische Ethik.