Kirchen müssen Arbeitslose vermehrt unterstützen

Wirtschaft

Die Arbeitslosigkeit steigt und damit die Nachfrage bei Beratungsstellen, die bei der Job- und Lehrstellensuche helfen. Einige Angebote der Kirchen sind an der Kapazitätsgrenze.

Geschlossene Geschäfte und Restaurants, eine Reisebranche im Krisenmodus – die Pandemie belastet seit fast einem Jahr die Wirtschaft. Trotz staatlicher Hilfsprogramme schlagen sich die Einschränkungen auf dem Arbeitsmarkt nieder: Landesweit stieg die Arbeitslosenquote im Dezember auf 3,5 Prozent, ein Plus von einem Prozent im Vergleich zum Dezember 2019. Die Zahl der Arbeitslosen nahm um mehr als 46 000 Menschen im Vergleich zum Vorjahresmonat zu.

Die wachsende Zahl Stellensuchender macht sich auch bei kirchlichen Organisationen bemerkbar, die im Bereich Arbeitsmarktintegration tätig sind. Etwa der Kirchlichen Fachstelle bei Arbeitslosigkeit (DFA) im Kanton Zürich. Sie bietet Hilfe bei der Stellensuche an, sowie Sozial- und Rechtsberatung. Rund 1500 Menschen greift sie in «normalen Jahren» unter die Arme. Nun habe die Nachfrage in den drei Bereichen deutlich zugenommen, sagt DFA-Leiter Martin Mennen. «Die Arbeitsbelastung unserer 18 Mitarbeitenden ist auf Dunkelorange.»

Die Fachstelle musste die Zeit für Beratungen limitieren und kann vorerst keine Mandate mehr für Rechtsvertretungen annehmen. Ihr Jahresbudget beläuft sich auf rund 1,6 Millionen Franken. Um die Lage zu entschärfen, sprachen die Träger, die reformierte und die katholische Kirche, letztes Jahr einmalig je 50 000 Franken zusätzlich. «Ein schönes Signal, aber im Grunde nur ein Tropfen auf den heissen Stein», sagt Mennen. Zwei befristete 60-Prozent-Stellen konnte der DFA-Leiter mit dem zusätzlich bewilligten Geld immerhin schaffen.

Starker Abbau am Flughafen

Mehr Bedarf spürt auch das ökumenische Job-Coaching-Angebot LOS Mensch & Arbeitswelt im Kanton Aargau. «Wenngleich zurzeit noch nicht massiv», wie Geschäftsführer Gabriel Wüst sagt. Er vermutet, dass die Welle mit Verzögerung jedoch noch stärker ankommt. Beide Angebote werden auch von Menschen genutzt, die in ungelernten Jobs arbeiten, oft noch Sprachprobleme haben. Für sie ist schon das Schreiben des Lebenslaufs eine Herausforderung. In Zürich kommen viele Klienten von den regionalen Arbeitsvermittlungszentren.

Dass die Nachfrage vor allem dort so stark gestiegen ist, erklärt sich Mennen unter anderem mit dem Jobabbau in der Luftfahrt. Seit einiger Zeit finden sich zahlreiche Arbeitslose aus Reinigung, Gastronomie und Abfertigung bei der DFA ein. «Auch Temporärfirmen waren am Flughafen in grossem Stil tätig und haben nun abgebaut.»

Mennen wandte sich zum Informationsaustausch an die Flughafenkirche. Und jetzt erhält er von dort unverhofft Unterstützung: Sozialdiakonin Jacqueline Lory half bereits einzelnen entlassenen Mitarbeitern, beim Schreiben eines Lebenslaufs oder beim Ausfüllen der diversen Formulare. «Wir werden die Personalabteilungen der Unternehmen am Flughafen informieren, dass sich Betroffene auch mit solchen Anliegen an uns wenden können», sagt Lory, die selbst jahrelang in der Arbeitsintegration tätig war.

Lehrstellensuche erschwert

Während die einen ihre Arbeit verlieren, fällt es anderen schwer, überhaupt ins Berufsleben hineinzufinden. «Mit Blick auf die Berufswahl fehlt seit dem Ausbruch der Pandemie die Möglichkeit, in Betriebe hineinzuschnuppern», heisst es beim Programm Job-Caddie, das in den Kantonen Bern, Zürich und Zug angeboten und in Bern von der reformierten Kirche mitfinanziert wird. Unterstützt wird die berufliche Integration von jungen Erwachsenen.

Mit der Pandemie begründete Kündigungen von Lehrstellen sind laut Fachleuten zwar bisher selten. Doch haben es Jugendliche, deren Lehrvertrag aufgelöst wurde, weil sich Beruf oder Betrieb nicht als passend herausgestellt hatten, nun besonders schwer, Alternativen zu finden. «Alles ist schwieriger geworden, selbst Zwischenlösungen wie Auslandsaufenthalte fallen als Option weg.», sagt Urs Solèr. Er leitet «kabel», die ökumenisch finanzierte Beratungsstelle rund um die Berufslehre im Kanton Zürich.

Solèr beobachtet, dass sich Lehranfänger schwertun mit Onlineunterricht in den Berufsschulen. «Vielen fehlt der persönliche Rahmen, das bringt sie ins Schleudern, und sie sind emotional weniger stabil.» Zwar blieb die Anzahl der betreuten Jugendlichen 2020 im Vergleich zum Vorjahr konstant. «Doch die Betreuung nimmt mehr Zeit in Anspruch und ist persönlicher geworden», sagt Solèr. «Wir bräuchten dringend mehr Mittel.» In Zukunft werden die Herausforderungen kaum kleiner. Gerade die von Schliessungen bedrohte Gastrobranche macht Solèr Sorgen. «Einige Lehrstellen, die ausgeschrieben sind, könnte es im Sommer gar nicht mehr geben.»

Die reformierte Streetchurch hilft Jugendlichen und jungen Erwachsenen beim Berufseinstieg. Wie hat sich der Arbeitsmarkt für die Jungen in der Pandemie verändert?

Philipp Nussbaumer: Vor allem die Berufswahl ist schwieriger geworden, denn die meisten Firmen wollen wegen der Hygieneregeln nicht noch zusätzlich Schnupperlernende im Betrieb. Und das hat dann auch noch eine andere Konsequenz: Die Jugendlichen können sich in der Praxis nicht mehr bewähren, nicht mehr zeigen, was sie können. 

Das heisst?

Der Lebenslauf wird noch wichtiger als bisher. Wir unterstützen vor allem junge Menschen, die nicht den gradlinigsten Weg gemacht haben, die vielleicht aus schwierigeren Verhältnissen kommen. Für sie ist der Berufseinstieg dann noch schwerer als ohnehin schon. 

Wie geht es den Betroffenen?

Verschiedene Faktoren machen den jungen Menschen zu schaffen. Neben der erschwerten Arbeits- oder Lehrstellensuche bringt die Pandemie auch eine stärkere soziale Isolation mit sich. Es ist überhaupt nicht so, dass die Jungen jetzt unbedingt Party machen wollen. Im Gegenteil, viele Jugendliche versumpfen regelrecht. Ein grosser Teil der Bevölkerung in der Schweiz kann in diesen schwierigen Zeiten auf die enge Familie als Ressource zurückgreifen. Viele Teilnehmer und Teilnehmerinnen unserer Programme haben diese Möglichkeit nicht. 

Was bedeutet das für Ihre Arbeit?   

Normalerweise sind wir eine Art Familienersatz. Wir verstehen uns als tragende Gemeinschaft. Social Distancing ist da kontraproduktiv. Wir müssen Kontakte reduzieren, unsere Gastfreundschaft an der Kaffeebar ist stark eingeschränkt, und es dürfen sich nie zu viele Leute auf einmal in den Räumlichkeiten aufhalten. Wir versuchen deshalb, Nähe und Beziehung anders herzustellen, etwa, indem wir uns mit den Jugendlichen einzeln treffen, zum Beispiel zu einem Spaziergang. 

Philipp Nussbaumer ist Geschäftsleiter der Streetchurch in Zürich