Recherche 23. Oktober 2023, von Sandra Hohendahl-Tesch

Die Angst vor der Bevormundung

Engagement

Der Pfarrer und Ethiker Christoph Ammann möchte Kirchgemeinden zu mehr Tierfreundlichkeit verpflichten. Warum es harzt.

Es war ein feierlicher Akt, als am 25. April 2021 der Kirchenkreis drei der Reformierten Kirchgemeinde der Stadt Zürich als erste Institution in der Schweiz die Initiative «tierfreundliche Kirche» unterschrieb. Der Text fordert, die mitgeschöpfliche Würde von Tieren zu achten, Fleisch tierfreundlich zu beschaffen und zu konsumieren, Lebensräume für Tiere zu schaffen und zu schützen. Tiere sollen im kirchlichen Leben und Denken Raum bekommen,  Organisationen mit tierethischem Fokus seien zu unterstützen. Kurzum: im Kirchenalltag verstärkt auf das Tierwohl Rücksicht zu nehmen.

Hinter der Initiative steht der Verein Arbeitskreis Kirche und Tiere (Akut), der von Christoph Ammann präsidiert wird. Das Bewusstsein für das Tierwohl sei heute in der Kirche zwar stärker ausgeprägt als je zuvor, bestätigt der Zürcher Pfarrer und Tierethiker im Gespräch. So entwickle die Gesellschaft zunehmend ein Sensorium für die Würde des Tieres, und die Idee, dass auch Tiere moralisch zählen, gewinne an Bedeutung. Gleichzeitig gebe es aber weiterhin ein Missverhältnis, wenn man das kirchliche Engagement für andere Themen betrachte.

Ein Zeichen setzen

Nach dem Kirchenkreis drei ist in Zürich mittlerweile auch der Kirchenkreis zwei auf dem Weg zur tierfreundlichen Kirche. Das sei erfreulich, sagt Ammann, aber es gebe noch viel zu tun. Namentlich der Fleischkonsum sei in der reformierten Kirche ein Tabuthema, was ihn aus tier- und klimaethischer Sicht frustriere. Man habe Angst, sich die Finger zu verbrennen. «Viele fürchten offenbar, man könnte ihnen die Wurst wegnehmen, und empfinden das als Bevormundung.» Darum gehe es aber nicht. Vielmehr sollen tierfreundliche Kirchgemeinden ein Zeichen setzen und an ihren Gemeindefeiern bewusst auf Fleisch verzichten.

«Anspruch der Kirche soll es sein, innerhalb der eigenen Strukturen und Abläufe einen klimafreundlichen Konsum- und Lebensstil vorzuleben.» Zum Glück sei das Thema Klimaneutralität mittlerweile in der Kirche angekommen, noch fehle aber das Bewusstsein, wie stark die Massentierhaltung und der Fleischkonsum mit dem Klimawandel zusammenhängen, sagt Ammann. Der Pfarrer fordert «mehr kirchlichen Schub für die Anliegen der Tiere». Denn für Ammann ist klar: «Unser Mitgefühl muss alle Lebewesen miteinbeziehen, die Nächstenliebe gilt nicht nur für Menschen, sondern für alle Geschöpfe, die in ihrem Lebensrecht verletzt oder bedroht werden.»