Recherche 12. Februar 2019, von Anouk Holthuizen

«Denn schliesslich geht es um die Schöpfung»

Politik

In der Schweiz demonstrieren immer mehr Menschen für einen wirksamen Klimaschutz. Die Organisatoren der Klimastreiks hoffen auf die Unterstützung der Kirchen.

Rund um den Globus gehen immer mehr Jugendliche für einen stärkeren Klimaschutz auf die Strassen. Und ihr Einsatz wirkt ansteckend. Allein in Zürich haben am 3. Februar rund 15 000 Menschen demonstriert. Laut äussern sie ihren Frust, dass die Politik beim Umweltschutz zahnlos bleibt und die seit 1992 statt­findenden Klimakonferenzen nichts ergeben als schöne Worte. 

Die Anfänge der Bewegung liegen in den wöchentlichen Streiks der schwedischen Schülerin Greta Thunberg. Auch hierzulande zogen Gymnasiasten erstmals im Dezember durch die Strassen und for­der­ten lautstark, dass die Politik den Klimanotstand ausruft und die Schweiz bis 2030 keine Treibhausgasemissionen mehr produziert. Der Streik am 18. Januar rief schon über 20 000 Personen auf den Plan, mit Slogans wie «Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut!» Am Samstag, 2. Februar,  folg­ten schweizweit zahlreiche  Demon­stration. Am 15. März ist in Bern eine Grossdemo geplant. Dann berät der Ständerat, ob er anders als der Nationalrat auf die Revision des CO₂-Gesetzes eintreten will. Mit der Revision sollen die Ziele und Massnahmen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen ab 2020 bis 2030 rechtlich verankert werden. 

Druck auf den Ständerat

«Wir gehen auf die Strassen, bis sich etwas bewegt», sagt Marie-­Claire Graf. Die 22-Jährige koordiniert mit einem Team die Klimastreiks. Sie studiert Politik-, Umwelt- und Infor­matikwissenschaften an der Uni­ver­sität Zürich. Als eine von acht Delegierten des Vereins «Swiss Youth for Climate» nahm sie an der Klimakonferenz im polnischen Katowice im Dezember teil. Die erneut ernüchternden Ergebnisse wollte sie nicht mehr hinnehmen. 

Zusammen mit einer Gruppe jun­ger Leute organisierte Graf den ersten Klimastreik. «Wir wollten erst nur eine Demo organisieren. Doch dann lösten wir eine Welle aus, die viel grösser war, als wir erwartet hatten. Wir realisierten erst da, wie gross der Frust über die Poli­tik in Sachen Klimaschutz ist.» Der grosse Zuspruch von allen Seiten überwältigt die engagierte Studentin, in ihren freien Minuten ist sie fast nonstop mit der Organisa­tion der Klimastreiks beschäftigt. 

Die Koordinatoren der Klimastreiks überlegen zurzeit, mit welchen Organisationen und Politikern man sich zusammentun soll, um weitere Aktionen zu planen. Die Studentin, die Mitglied der reformierten Kirche ist, sieht auch die Kirche in der Pflicht: «Die Kirchen müssten sich eigentlich stark für das Thema interessieren, schliesslich geht es um die Schöpfung. Wir würden uns sehr über Unterstützung aus ihren Reihen freuen.» 

Auf Seiten der Kirchen sind allerdings noch keine grossen Initiativen auszumachen. Der Verein «oeku Kirche und Umwelt», dem rund 600 Kirchgemeinden beider Konfessionen, kirchliche Organisationen und Einzelpersonen angehören, und der den Evangelischen Kirchenbund und die Bischofskonferenz in ökologischen Fragen berät, unterstützt zwar seit 20 Jahren zahlreiche Petitionen für mehr Klimaschutz und probiert, die Kantonalkirchen zu motivieren, sich des Themas Klimaschutz anzunehmen. «Aber da sind nur einzelne Kirchgemeinden wirklich aktiv», sagt der oeku-Fachstellenleiter Kurt Zaugg. 

Zaugg freut sich sehr über die neue Jugendbewegung. «Endlich wird mal jemand laut! Wir müssen rasch und wirksam handeln. Je länger wir warten, desto massiver und teurer werden die Massnahmen zur CO₂-Reduktion.» Zaugg gehört zum Komitee der frisch lancierten Gletscher-Initiative, die einen Verfassungsartikel für den Klimaschutz fordert. Weil die Streikbewegung Distanz zu Parteien und externen Vereinen wahren will, kam es bisher nicht zu einer offiziellen Al­lianz mit dem Verein Klimaschutz, der hinter der Initiative steht. 

Kirche am Puls der Zeit

Bevor sich die Kirchen offiziell po­si­tionieren, gibt es an der Basis bereits Bewegung. So gründete das Team der reformierten Fabrikkirche Winterthur im Januar mit der Klimaschutzbewegung myblueplanet eine Aktionsgruppe. Diese wird vorerst durch Pfarrerin Isabelle Schär koordiniert, soll jedoch längerfristig autonom handeln.

Ideen gibt es viele: Eine ist zum Beispiel, jeden Monat einen öffentlichen Anlass im Restaurant Akazie, am Standort der Fabrikkirche, zu einem Klimaschutzthema zu machen. Ebenfalls möchte die Kirche das eigene Programm überdenken. Vorstellbar wäre etwa, das Menü auf vegetarisch oder vegan umzustellen und Wasser in Flaschen wegzulassen. Schär sagt: «Wir sind schon länger mit Fragen rund um Umweltschutz beschäftigt. Die Klimastreiks zeigen, dass wir mit der Grün­dung der Aktionsgruppe am Puls der Zeit sind.»