Frau Soppa, Sie mussten letzte Woche innerhalb weniger Tage den 500 Jahre alten Flügelaltar aus der Brienzer St. Calixtus-Kirche in Sicherheit bringen. Was ist das Besondere an dem Altar?
Dass er genau für diesen Ort gemacht wurde und dort auch unverändert stehen geblieben ist. Das gibt es äusserst selten. Viele Altäre wurden im Laufe der Jahrhunderte umgebaut, barockisiert, an Museen verkauft oder im schlimmsten Fall entsorgt. Das zweite ist: Das Retabel ist ein Beispiel der Spätgotik, wie es sie kurz darauf nicht mehr gab. Mit einem sehr filigranen, zweistöckigen Zieraufsatz, der so viele Einzelteile besitzt, dass es fast unmöglich ist, zu sagen, wie sie zusammengehören. Es gibt nur noch wenige Flügelaltäre dieser Art in so einem Zustand und an ihrem ursprünglichen Ort, nicht einmal im süddeutschen Raum, wo das Stück ja herkommt, sind sie oft zu finden.
Nun mussten Sie den Altar nach mehreren Jahrhunderten am gleichen Ort abbauen. Wie war das für Sie als Restauratorin?
Wir gehen ja davon aus, dass er wieder an seinen Platz zurückkommt. Es ist eine zeitlich begrenze Evakuierung. Und vermutlich wurde er zumindest schon dreimal für Restaurierungs- oder Kirchenrenovierungsarbeiten auseinandergenommen – zuletzt wohl vor 50 Jahren.
Die Medien verfolgten die Situation in Brienz in den letzten Wochen sehr genau. Wann war Ihnen klar, jetzt muss der Altar tatsächlich raus aus der Kirche?
Es war eine Hauruckaktion. Obwohl die Evakuierung schon länger Thema war. Im Herbst 2021 wurden wir bereits vom Leiter der Denkmalpflege, Simon Berger, angefragt, ob wir eine vorsorgliche Evakuierung durchführen könnten. Damals gab es ein Treffen mit Denkmalpflege, Kirchgemeinde und Dorfgemeinde. Die Dorfbevölkerung bat damals darum, den Altar so lange wie möglich in der Kirche zu belassen. Für die Gläubigen ist das Retabel ja nicht nur ein Kulturgut, sondern imminent wichtig zur Glaubensausübung und für das tägliche Leben. Diesem Wunsch kam der Denkmalschutz nach – zumal es Phasen gab, in denen sich das Abrutschen des Berges verlangsamte. Eine Evakuierung schien nicht mehr so akut. Unabhängig davon schauten wir uns damals aber den Altar schon genauer an, machten hochauflösende Fotoaufnahmen und Konservierungstests, denn wir sollten ihn im Juli/August dieses Jahres auch in der Kirche noch restaurieren.