Recherche 26. Januar 2023, von Anouk Holthuizen

Der Pfarrer, der auch Politik macht

Wahlen

Lutz Fischer-Lamprecht ist der neue Präsident der Aargauer Synode. Politik spielt im Leben des Wettinger Pfarrers seit der Jugend eine wichtige grosse Rolle. 

Als Teenager wollte Lutz Fischer-Lamprecht Bundeskanzler werden. 18-jährig wurde er Mitglied der Jungen Union, der Jugendvereinigung der CDU, überzeugt, viel besser zu politisieren als Helmut Kohl. Mit der Werbung für den Pfarrberuf, die sein Religionslehrer damals machte, konnte er nichts anfangen. Im Gegenteil: Er stimmte ins Gelächter der Klasse ein, nachdem der Lehrer auf eine entsprechende Infoveranstaltung hingewiesen hatte. Pfarrer, ha, nie im Leben! 

Stets nah am Leben dran 
Inzwischen ist er seit 25 Jahren Pfarrer. Die Passion für die Politik ist ihm dennoch geblieben: Mitte Januar wurde Fischer-Lamprecht zum Präsidenten des Parlaments der Reformierten Kirche Aargau gewählt. Der 55-Jährige leitet fortan die Synode mit 170 Sitzen. 

Als er als junger Mann in der Bundeswehr diente und dort mit einem Kollegen über die Zukunft sprach, überzeugte ihn dieser, Theologie zu studieren und Pfarrer zu werden. «Menschen von der Geburt bis zum Tod begleiten und mich mit existenziellen Fragen beschäftigen – das beflügelt mich bis heute», sagt Fischer-Lamprecht im Wohnzimmer des hellblauen Pfarrhauses in Wettingen, wenige Wochen vor der Wahl zum Synodepräsidenten. 

Tatsächlich umgab ihn der christliche Glauben von der Wiege an. Bloss erlebte er ihn zunächst auch von einer beklemmenden Seite. Die fromme Grossmutter, die im Elternhaus lebte, fürchtete die Hölle. Erst als Fischer-Lamprecht nach der Konfirmation einer Jugendgruppe beitrat, erfuhr er eine angstfreie Religiosität. «Und im Theologiestudium dann noch viel stärker.

Politik heisst, die Gesellschaft mitzugestalten. Das will ich, und das passt zu einem Pfarrer.
Lutz Fischer-Lamprecht

Die EVP passt am besten zum Pfarrer

Von der staatlichen Politik liess er zunächst die Finger. Erst als Fischer-Lamprechts Frau in Thun eine Pfarr-stelle mit Heinz Leuenberger teilte, fand er zu seiner alten Leidenschaft zurück. Pfarrer Leuenberger war zusätzlich auch Gemeinderat und Polizeichef. 

Schon bald nach seiner Einbürgerung 2013 legte Fischer-Lamprecht, inzwischen Pfarrer in Wettingen und Vater von fünf Kindern, los. Er zählt seit 2016 zum Wettinger Einwohnerrat, präsidiert diesen seit 2021 und seit 2019 ist er auch noch Mitglied im Aargauer Grossen Rat. Und zwar nicht für die SVP, wie sein Lieblingsoutfit bestehend aus Jeans und Sennenhemd («Sennenhemden sind zu schön, um sie der SVP zu überlassen») vermuten lassen könnte, sondern für die EVP. «Ich dachte, dass diese Partei einem reformierten Pfarrer am besten ansteht. Aber auch inhaltlich kommt sie meinen Überzeugungen am nächsten.»

Das passt nicht allen. «Ich höre immer wieder mal, ich solle mich aus der Politik raushalten», sagt Fischer-Lamprecht. Vor allem nachdem er Asyl für den ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden gefordert hatte. Aber: «Politik heisst, die Gesellschaft mitzugestalten. Das will ich, und das passt zu einem Pfarrer.» 

Während ihm als Politiker vor allem die öffentliche Sicherheit und die zunehmende Überwachung öffentlicher Räume Unbehagen bereiten, ist es für ihn als  Pfarrer und Synodepräsident die Entwicklung der Kirche. «Wir haben jahrzehntelang weggeschaut, und viele haben es noch immer nicht gemerkt: Die Kirche befindet sich in einer äusserst schwierigen Lage. Es kommen tiefgreifende, gesellschaftliche Veränderungen auf uns zu.» 

Das Ruder könne man nicht herumreissen. Irgendwann aber würde man die Kirchensteuern wohl abschaffen. «Unsere zentralen Fragen lauten: Wie schaffen wir eine lebendige Kirche? Und wie können wir diese finanzieren?» Aufgeben ist für den Wettinger Pfarrer jedenfalls keine Option.