Das klingt schon ziemlich katholisch. Das Oratorium «Stella Maris» ist der Mutter Gottes gewidmet und gastiert am 14. und 15. Januar im Zürcher Fraumünster. Das Auftragswerk war ursprünglich für die Kathedrale in Chartres konzipiert, die 2006 ihr tausendjähriges Bestehen feierte. Die Kirche gilt als Gesamtkunstwerk zur Stärkung des Glaubens und ist Maria gewidmet. Beide Motive nimmt der Komponist Helge Burggrabe auf.
Der Stern über dem Meer. Maria gilt als Schutzpatronin der Seeleute, als leitender Stern über dem Meer gibt sie ihnen Orientierung. Im Oratorium wird ihr Sophia als die Verkörperung der Weisheit beigestellt. Den Gedanken des Gesamtkunstwerks konkretisiert Burggrabe, indem er den Lichtkünstler Michael Suhr den Kirchenraum ausleuchten lässt.
Hinzu kommen Klangbilder von Alexander Lauterwasser. Der Philosoph beschäftigte sich intensiv mit den Arbeiten von Hans Jenny. Dem Schweizer Arzt war es vor gut fünfzig Jahren gelungen, die im 19. Jahrhundert entdeckten «Chlad-nischen Klangfiguren» zu erweitern. Ursprünglich wurden mit Sand bestreute Glasplatten zum Schwingen gebracht. Jenny verwendete auch flüssige Materialien. Daran knüpft Lauterwasser an und lässt Klangbilder im Wasser entstehen, wo die Strukturen rasch zerfallen.
Die flüchtigen Bilder lassen «die Gestaltungsstrukturen des Göttlichen» erahnen, sagt Burggrabe. Wie sich die Komposition zwischen neuen Klängen und Zitaten aus gregorianischen Chorälen bewegt, so verknüpft das in Französisch und Deutsch verfasste Libretto biblische Texte mit Gedichten von Rainer Maria Rilke oder Silja Walter. Die visuelle Inszenierung wiederum baut auf das Zusammenspiel von Licht und Wasser.
Ein ökumenischer Geist. Nach der Uraufführung in Chartres tourte das Werk durch berühmte Kirchenräume wie den Kaiserdom in Speyer oder den Kölner Dom und kommt nun ins reformierte Fraumünster. Für Pfarrer Niklaus Peter eine Gelegenheit zu einem ökumenischen Auftakt ins Jubiläumsjahr der Reformation: «Wir dürfen die Reformation nicht in einem antikatholischen Geist feiern.» Der Fraumünsterpfarrer betont zudem, dass auch die Musik verkündigenden Charakter hat. Dem Oratorium gelinge es, Glaubensinhalte sinnlich zu vermitteln und selbst in den zeitgenössischen Passagen zugänglich zu bleiben.
Für Burggrabe war die Arbeit eine Entdeckungsreise. «Als Protestant konnte ich mich Maria unbelastet nähern.» Ihm ist die Mutter Jesu «eine Türöfferin». Oder wie es im Gedicht der Benediktinerin Silja Walter heisst, das Burggrabe mit dem über tausendjährigen «Ave Maris Stella» kurzschliesst: «Brich die Wand von innen her auf / Sprich offen zu uns, Maria». Durch Musik, Sprache und Bilder im Kirchenraum soll sich ein Innenraum öffnen, der Gott Raum gibt.
Maria im grünen Fenster. Fremd ist «Stella Maris» im Fraumünster ohnehin nicht, obwohl das Werk an die katholische Tradition anknüpft. So will Burggrabe die Maria im grünen Chagall-Fester in die Inszenierung einbeziehen.
Ausserdem hatten die Reformatoren Zwingli und Bullinger Maria noch als die von Gott in besonderer Weise Begnadete verehrt und das «Ave Maria» in ihrer Liturgie bewahrt. Erst später wurde Maria aus der reformierten Kirche verbannt und in der Gegenreformation als katholische Kronzeugin instrumentalisiert. Das Oratorium bietet Gelegenheit, die Maria jenseits der Konfessionsgrenzen zu entdecken. Dann klingt das nicht mehr katholisch, nur noch faszinierend schön.