Zwischen Lukasevangelium und Legokisten

Digitalisierung

Die Kirchgemeinde Zürich hat ein neues Videoprojekt an den Start gebracht. Sechs Pfarrpersonen bespielen den Youtube-Kanal «OMG!» und geben teils Einblicke in ihren Alltag.

Am eingedeckten Tisch wird das Gespräch persönlich: Ein Joghurt und das gemeinsame Zähneputzen seien das wichtigste Ritual, das ihr mit ihrem Mann im Alltag geblieben sei, sagt Pfarrerin Stefanie Porš, berufstätige Mutter mit kleinen Kindern. «Haben wir das nicht, weiss ich, jetzt stimmt was nicht.» Die 40-jährige Pfarrerin der reformierten Kirchgemeinde Zürich spricht mit ihrer Freundin und Psychologin Raphaela Hügli über Familienthemen.

Doch das Treffen ist nicht nur eines unter Freundinnen. Mit am Tisch sitzen auch alle Interessierten, die Youtube aufrufen. Und Zuschauer von Tele Züri, die sonntags um 9.30 Uhr einschalten. Porš ist eine von sechs Pfarrpersonen aus Zürich, die mit neuen Formaten digitale Kirche machen wollen. «OMG!» (englisch für «oh mein Gott») lautet der Name von Projekt und Youtube-Kanal, die Zielgruppe sind Menschen unter 45 Jahren.

Kein Livestream mehr

Porš taufte ihr Format «Windeln und Gott». Ihre Themen: der Spagat zwischen Beruf und Familie, all das Schöne, der Stress, Momente des Scheiterns. Auch die Bibel soll ihren Platz finden, etwa mit Geschichten, zu denen sich Parallelen ziehen lassen. «Ich kann bei Familienthemen aus dem Vollen schöpfen und wirklich authentisch sein», so Porš. Nach dieser Prämisse setzt jede Pfarrperson ihren Schwerpunkt: Der ehemalige Gefängnisseelsorger und heutige Streetchurch-Pfarrer Markus Giger lädt im Talk «Heul doch» Leute ein, die er in schwierigen Situationen begleitete. Judith Engeler will sich in «Tacheles mit Judith» Hate-Beiträgen über Rassismus oder Homosexualität widmen.

Die Kirchgemeinde Zürich ist seit dem ersten Lockdown regelmässig auf Tele Züri präsent, seit 2022 im Wechsel mit der Landeskirche. Bislang mit aufgezeichneten Gottesdiensten, welche die Leute auch auf Youtube anschauen konnten. Digitale Gottesdienste haben sich in der Schweiz etabliert. Jüngst veröffentlichte Ergebnisse der zweiten Umfrage «Churches Online in Times of Corona» (Contoc2) zeigen, dass auch nach Ende der Pandemie mehr als 40 Prozent der befragten hauptamtlich Angestellten weiterhin Online-Gottesdienste produzieren.

Es ist für alle Neuland. Wir sind sehr engagiert und probieren noch viel aus.
Jutta Lang, Kirchgemeinde Zürich

Hilfe auch im Ausland

Jutta Lang sagt, dass die Entwicklungsgruppe der Kirchgemeinde Zürich neue Formate für jüngere Leute entwickeln möchte. Lang ist im Kommunikationsteam für «OMG!» verantwortlich. Auf Ende Mai wurden die Ausstrahlungen der Kirchgemeinde auf Tele Züri auf das neue Format umgestellt. Auch lancierte sie den neuen Youtube-Kanal. Noch laufe vieles nicht in gewohnten Bahnen, sagt Lang. «Es ist für alle Neuland. Wir sind sehr engagiert und probieren noch viel aus.» Hilfe bei der Konzeption des Formats holte sich die Kirchgemeinde bei Expertinnen. Im Gespräch sei man mit den Machern ähnlicher Formate, etwa «Holy Shit» oder des deutschen Youtube-Kanals «Basis: kirche». Auch pflegt Lang Kontakt zu kirchlichen Influencerinnen und Influencern. Grundsätzlich wünschten sich die Pfarrerinnen und Pfarrer mehr Fortbildung und diese so effizient wie möglich.

Die Frage der Weiterbildung kam auch bei der Präsentation der Contoc2-Studie auf, sie ist eine der wichtigsten Forderungen der Studienleitenden für eine in der digitalen Welt zukunftsfähige Kirche. «Die Landeskirchen sind in der Pflicht, Hilfe zu leisten und professionelle Angebote zu machen», sagt der für die Studie mitverantwortliche Theologieprofessor Thomas Schlag von der Universität Zürich. Für die weitere Entwicklung der Kirchgemeinden sei es nötig, sich auf die Bedingungen und Herausforderungen digitaler Kommunikation in aller Offenheit einzulassen.

Schneller und kürzer

Lang sieht die Kirchgemeinde Zürich mitten im Lernprozess. Die Formate müssten noch kürzer werden, mit schnelleren Schnitten. Auf dem Radar hat sie auch das Thema Shitstorms, sprich, wie die Pfarrpersonen mit einer Flut negativer Kommentare umgehen würden.

Bislang ist das Feedback positiv, beim Video von Porš bedanken sich Nutzerinnen und Nutzer, dass die Pfarrerin so ungeschönt über ihren Alltag redet. Der Youtube-Kanal hat rund 130 Abonnenten, als erstes Ziel will die Kirchgemeinde die 500er-Marke erreichen. Entscheidend seien aber auch die Kommentare zu den Sendungen sowie die Debatten mit und zwischen Nutzerinnen und Nutzern, sagt Lang. «Erst wenn die Menschen diskutieren, ist es richtig digitale Kirche.»