Recherche 26. Februar 2023, von Nicola Mohler, Marius Schären

«Möchte die Rolle der Frau in unserer Gesellschaft ändern»

Christen im Nahen Osten

Sally Azar ist die erste Pastorin der evangelisch-lutherischen Kirche in Jordanien und dem Heiligen Land. «reformiert.» hat mit der Palästinenserin gesprochen.

Am 22. Januar 2023 wurden Sie zur ersten palästinensischen Pastorin ordiniert. Wie hat sich Ihr Leben seither verändert?

Sally Azar: Ich bin jetzt erst seit ein paar Wochen ordiniert, es hat sich noch nicht sehr viel geändert. Aber es gab viel Aufregung am Anfang, positive und negative. Doch das hat sich wieder beruhigt, und kann mich auf meine Arbeit konzentrieren. 

Wie haben Ihre orthodoxen und katholischen Kollegen auf die Ordination reagiert?

Die Katholiken haben jemanden zur Ordination geschickt. Das zeigt eine Art Zusammenhalt, auch wenn sie es nicht unterstützen. Aber es gab natürlich viele von den orthodoxen und katholischen Gemeinden, die sich beschwert haben – nicht zu mir persönlich, aber in den Medien. Aber das hat mich eigentlich nur bestärkt. Ich bin ja hier, um zu zeigen, dass es möglich ist.

Welche Akzente möchten Sie in Ihrem neuen Amt setzen?  

Ich möchte vor allem weiterhin versuchen, die Rolle der Frau in unserer Gesellschaft zu verändern. 

Sally Azar, 26

Als erste Frau ist die Palästinenserin zur Pastorin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und im Heiligen Land ordiniert worden. Sally Azar hat an der Near East School of Theology in Beirut ihr Bachelorstudium in Theologie abgeschlossen. Danach absolvierte sie den Masterstudiengang Intercultural Theology an der Universität Göttingen und der Fachhochschule für Interkulturelle Theologie Hermannsburg. Neben dem Studium arbeitete sie im Rat des Lutherischen Weltbundes als Frauenrepräsentantin und Jugendrepräsentantin für die Region Asien. In Jerusalem leitet die Sally Azar eine Gemeinde aus 3000 englisch- und arabischsprechenden Gläubigen.

Bereits als Studentin äusserten Sie den Wunsch, die erste Gemeindepfarrerin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und im Heiligen Land zu werden. Wieso ist Ihnen dies wichtig?

Es war mir immer wichtig, wieder zurückzukehren – ich bin mit den Gemeinden hier verbunden. Durch unsere Kirche habe ich angefangen, Theologie zu studieren, und nun will ich meiner Gemeinde etwas zurückgeben. Die Situation hier in Israel und Palästina ist nicht gut, viele gehen weg. Doch ich will mich mit der Situation auseinandersetzen und hoffe, dass sich bald eine Lösung findet. Ich wollte schon immer hier vor Ort etwas verändern helfen. 

Wie sind Sie zur Theologie gekommen?

Ursprünglich dachte ich, als Frau dürfe man nicht Pastorin werden. Inspiriert wurde ich aber durch meinen Vater als Pfarrer. Ich entschied mich dann aber völlig frei, Pfarrerin zu werden – das war noch, bevor mein Vater Bischof wurde. 

Als Bischof hat Ihr Vater Suni Ibrahim Azar Sie dann ordiniert. Was bedeutet das für Sie?

Es war schon ein Highlight für mich, dass mein Vater mich ordiniert hat, es war etwas sehr Bedeutsames. Schliesslich war und ist er als Pfarrer auch ein Vorbild für mich. Es ist nicht selbstverständlich passiert auch nicht oft. Deshalb war es schon sehr berührend für uns beide und wird uns immer begleiten. 

Wir sind für eine Zwei-Staaten-Lösung, und wir wollen Frieden hier im Land haben.

Gegenüber Domradio sagten Sie, dass Sie nicht gerne politisch würden. Ist im palästinensisch-israelischen Kontext nicht jede Handlung und jede Äusserung politisch?

Nicht jede Handlung ist politisch, nein. Besonders in der Kirche auch nicht. Ich erlebe es eher so, dass wir als Kirche von der Politik beeinflusst werden, obwohl das gar nicht wollen. 

In den letzten Wochen wurde regelmässig über Übergriffe von israelischen Nationalisten im christlichen Viertel in der Altstadt von Jerusalem berichtet. Wie ist die Situation der Christen vor Ort?

Wir würden gerne mehr mit den Menschen direkt arbeiten. Aber weil hier drei Religionen und mehrere Kulturen nebeneinander sind, wird vieles anders verstanden, als es gemeint war. So wird es schwierig, etwas zu sagen oder zu machen, ohne dass es politisch wird.

Hat die Kirche eine Haltung?

Ja, wir sind für eine Zwei-Staaten-Lösung, und wir wollen Frieden hier im Land haben. Wir sprechen auch über die Menschenrechte, die hier oft verletzt werden. Doch zurzeit gibt es viele Anschläge, und niemand weiss, wie es weiter geht, auch nicht mit der neuen Regierung. Das alles beeinflusst unsere Gemeinden. Christinnen und Christen gibt es immer weniger, wir werden von allen Seiten angegriffen, unsere Existenz ist infrage gestellt. Wenn es so weitergeht, wird es in den nächsten Jahren keine mehr geben hier. Deswegen hoffen wir einfach – und bitten alle, für uns zu beten, dass wir nicht unsere Hoffnung verlieren.

Kurze Dokumentation mit der Ordination von Sally Azar