Recherche 22. November 2021, von Marius Schären

Vielen hilft in ihrer Not der Glaube

Gesellschaft

Berufliche Berührungsängste gegenüber der Reli­gion hat die kirchliche Sozialarbeiterin Bea Friedli nicht. Sie sei eine wichtige Ressource.

Fast so vielfältig wie die ganze Stadt Bern dürfte die Kirchgemeinde Petrus sein. Von gehobenen Lagen und Botschaften bis zu Quartieren mit vielen Armutsbetroffenen gibt es hier alles. Und alle kommen sie zur Sozialarbeiterin Bea Friedli vom Beratungs- und Sozialdienst der Kirchgemeinde, mit unterschiedlichsten Anliegen: unbezahlbaren Rechnungen, Arbeitslosigkeit, Problemen mit Behörden, rechtlichen Fragen – «und so ab dem zweiten Termin geht es manchmal auch um tiefgründigere Fragen wie Erziehung, Beziehungen, Sinnfragen».

Bea Friedli arbeitet seit acht Jahren bei der Petrusgemeinde. «Nach wie vor bin ich begeistert. Die Vielfalt an diesem Ort ist überaus spannend», sagt sie. Besonders schätzt sie die grosse Offenheit, die sie auch im Bereich Religion und Spiritualität pflegen kann.

Mehr als 50 Prozent der Ratsuchenden hätten keinen christlichen Hintergrund, sie seien meist Muslime oder Hindus. Und: «Sie bringen ihren Glauben oft ganz selbstverständlich ein. Es ist schlicht ein wichtiger Teil ihres Lebens», hält Friedli fest.

Es geht ja einfach darum, dass die Menschen erzählen können, was ihnen wichtig ist.
Bea Friedli, Sozialarbeiterin Kirchgemeinde Petrus

Der Glaube ist einfach da

Verspürt sie dabei keine Unsicherheiten mit ihrem christlichen Hintergrund, wie es Berufskolleginnen und -kollegen in den Interviews mit Stefanie Duttweiler (Artikel oben) äusserten? Die Sozialarbeiterin antwortet dezidiert: «Nein, überhaupt nicht. Es geht ganz einfach darum, dass die Menschen erzählen können, was ihnen wichtig ist.»

Aufgrund ihrer Erfahrung sieht sie ihr echtes Interesse am Gegenüber als zentral an für eine gute Beratung. «Ich bin offen für das, was kommt; egal, was es ist.» Glaubensthemen spreche sie fast nie von sich aus an. Doch diese würden oft ganz natürlich bei der Suche nach Ressourcen in schwierigen Lebenssituationen zum Vorschein kommen.

Eigene Exerzitien helfen

Das gelinge am besten, wenn die Menschen Wertschätzung spürten und Vertrauen fassten. «Wichtig dabei ist auch, dass ich immer wieder meine eigene Haltung reflektiere», hat Friedli im Lauf der Jahre beobachtet. Darin hat sie sich auch weitergebildet. Für sich praktiziert sie Exerzitien, geistliche Übungen zur inneren Einkehr mit biblischen Texten oder Bildern.

Von anderen Sozialarbeitenden hat Bea Friedli auch schon zu hören bekommen, es sei absolut unprofessionell, Spiritualität in die Beratung reinzubringen. «Da bin ich wohl 180 Grad anderer Meinung», sagt sie. Schliesslich komme auch auf ihre Frage, was den Ratsuchenden denn helfe, oft direkt die klare Antwort: der Glaube. Marius Schären