Mit lästigen Mitmenschen gut umzugehen, ist lernbar

Konflikte

Littering, Lärm, Lausbubenstreiche – das sind keine grossen Vergehen. Trotzdem können sie einen so sehr stören, dass man reagieren möchte. Doch wie tut man dies am konstruktivsten?

Da war sie, diese Wut, die sich in mir vom Bauch herkommend im Kopf staute. «Der Mann da drüben nervt mich. Er fährt ständig als Einziger in die andere Richtung», raunte ich bei einer Pause am Rand der Kunsteisbahn meiner Freundin zu. 

In der Regel behalte ich solche Gedanken für mich – und ärgere mich auch noch lange danach. Doch an jenem Tag wurde mir bewusst: Wenn ich jetzt nichts sage, bleibt die Wut in mir. Auch das Gefühl, das Opfer von jemandem zu sein, der sich absichtlich danebenbenimmt. Zudem würde ich das Schlittschuhlaufen auf dem überfüllten Eis noch weniger geniessen können. Und das wollte ich nicht.

Was es auch immer für Störungen seien – lautes Musikhören im Bus, das Sich-Ausbreiten im Zugabteil, das Liegenlassen von Müll im Park: vor Kurzem habe ich mir vorgenommen, solche Situationen nicht mehr auf mir sitzen zu lassen. Aber als friedliebende Person fällt es mir schwer, andere zu massregeln. Hinzu kommt die Angst vor negativen Reaktionen. Ich will mich nicht blamieren oder gar in Gefahr bringen. Wie also lassen sich solche Konflikte am besten lösen?

Erwartungen anpassen

Um besser auf solche Situationen zu reagieren, sei es zunächst wichtig, sich selbst gut zu kennen und realistische Erwartungen an das eigene Verhalten zu stellen, sagt Anja Ostendorp, Leiterin des Instituts «Beratung, Mediation und Supervision» an der Berner Fachhochschule und Konfliktexpertin. Sei man etwa sehr harmoniebedürftig, habe als Kind gelernt, Konflikten auszuweichen, oder leide unter Angststörungen, gelte es, dies zu berücksichtigen. Man solle sich fragen, mit welcher Reaktion man sich wohlfühle und was zu einem passe. 

Oberstes Gebot ist es, angemessen zu reagieren.
Anja Ostendorp, Konfliktexpertin

Auf dem Eisfeld war mir klar, dass mir Schweigen nicht behagen würde. Darum beschloss ich, mich zu wehren. «Oberstes Gebot ist es, angemessen zu reagieren», sagt Ostendorp. Man solle ruhig bleiben und das Anliegen wertschätzend, höflich, sachlich und nicht länger als nötig formulieren. Zugleich die störende Handlung direkt ansprechen und allenfalls auch den Grund nennen, warum sie stört. Allenfalls könne auch ein Lächeln helfen, um zu zeigen, dass man eigentlich freundlich gesinnt sei. So komme man authentisch rüber, blase das Problem nicht unnötig auf und müsse keine Angst vor einer Blamage haben.

Ungewissheit akzeptieren

Trotzdem: Positive Gefühle weckt eine solche Intervention beim Gegenüber kaum. Seine Reaktion ist ungewiss. Wie damit umgehen? Os-tendorp empfiehlt zu akzeptieren, dass man die Reaktion nicht beeinflussen kann. So gelinge es, negative Rückmeldungen nicht persönlich zu nehmen. Oder auch, aus einer Eskalationsspirale auszusteigen.

Was ich zum Geisterfahrer auf der Eisbahn gesagt hatte, mag verbesserungswürdig sein. Ich blieb aber relativ ruhig und liess ihn ziehen – ohne zu wissen, ob er meiner Bitte nachkommen würde. Es eskalierte nicht, und ich fühlte mich gut, weil ich mein Bedürfnis ernst genommen und mich gewehrt hatte. «Ein konstruktives Konfliktverhalten ist auch Selbstfürsorge», bestätigt Ostendorp.

Ein konstruktives Konfliktverhalten ist auch Selbstfürsorge.
Anja Ostendorp, Konfliktexpertin

Auch die Bibel ermuntert dazu, für sich selbst einzustehen. «Das Gebot der Nächstenliebe, ‹Liebe deinen Nächsten wie dich selbst›, setzt die Selbstliebe voraus. Man soll seine Bedürfnisse also durchaus ernst nehmen», sagt die Theologin Christine Schliesser. Man dürfe sich folglich wehren, jedoch stelle das Liebesgebot die eigenen Bedürfnisse nicht über die anderer.

Kreativ zurückschlagen

Aber wie ist das mit dem «die andere Wange hinhalten», wie es Jesus im Matthäusevangelium anrät? Dies gelte es richtig zu verstehen, sagt Schliesser. Normalerweise schlage man jemanden mit der Rückseite der rechten Hand auf die rechte Wange. In der Antike sei diese Geste für Untergebene wie Diener oder Sklavinnen bestimmt gewesen.

Jesus fordert zu einem kreativen Weg auf, der weder bedeutet, alles zu schlucken, noch, mit gleicher Münze heimzuzahlen.
Christine Schliesser, Theologin

Hielt die geschlagene Person daraufhin die linke Wange hin, zwang sie das Gegenüber, mit der Handinnenseite zu schlagen – eine Geste unter Gleichgestellten. «So weigert sich der oder die Geschlagene, Opfer zu sein, und stellt sich auf Augenhöhe mit der schlagenden Person.» Die andere Wange hinzuhalten, bedeute also nicht Unterwerfung oder Passivität. «Jesus fordert zu einem kreativen Weg auf, der weder bedeutet, alles zu schlucken, noch, mit gleicher Münze heimzuzahlen.»

Habe ich das Beste aus der Situation auf dem Eisfeld gemacht? Ostendorp rät, sich nicht zu hart zu beurteilen. Besser zu reagieren, lerne man in kleinen Schritten. So gesehen, bin ich zufrieden und stolz, denn: Der Mann wechselte schliesslich die Richtung.