Recherche 25. Februar 2020, von Anouk Holthuizen

Zahlreiche Kinder benötigen Pflegeeltern

Pflegekinder

Ramona und Roger Arnold aus Sins nehmen Kinder aus Familien in Not in Obhut – auch nach der Geburt ihres dritten Sprösslings. Pflegeeltern werden schweizweit permanent gesucht.

Ramona und Roger Arnold bringt so schnell nichts aus der Fassung. Das Paar sitzt am Küchentisch ihres Bauernhofs in Sins und erzählt seelenruhig über ihr turbulentes Familienleben, während die vierjährige Tochter auf dem Steckenpferd herumgaloppiert und der zweijährige Sohn auf dem Schoss seines Vaters auf und ab klettert. Damit sind noch nicht alle Kinder gezählt, die im Haus ein und aus gehen. Am Tisch sitzt heute auch ein 16-jähriges Mädchen. Sie ist eins von neun Pflegekindern, die bei Arnolds Obhut gefunden haben. Jeden Monat verbringt sie hier ein Wochenende, ab und zu eine Ferienwoche.

Genau zwei Jahre ist es her, als für einige Wochen frisch geborene Zwillinge zur Familie zählten. Die meisten wären mit zwei Säuglingen, einem Baby und Kleinkind kollabiert, nicht so die Arnolds. «Ja, wir sind geduldig», sagt Ramona grinsend. «Nur nach der Hochzeit konnte es nicht schnell genug gehen.»

SOS- und Dauerplätze

Als Ramona auch zwei Jahre nach der Hochzeit «noch immer nicht» schwanger war, meldete sich das Paar 2014 bei der Fachstelle Pflegekind Aargau in Baden. Roger erinnert sich: «Wir wollten uns so sehr um Kinder kümmern, wir haben Platz und ein gutes Umfeld.» 

Tatsächlich wurde das Ehepaar als «SOS- und Entlastungsfamilie» in die Kartei aufgenommen. Maximal sechs Monate wohnen bei ihnen Kinder, deren Eltern nicht mehr für die Betreuung im Stande sind. Kinder, die sich in akuten familiären Krisensituationen befinden, oder die ­dauerhaft in Pflegefamilien wohnen und ab und zu herkommen, damit die Pflegefamilie Zeit für sich hat.

In der Schweiz leisten gemäss ­einer Erhebung rund 5000 Eltern die herausfordernde Aufgabe, ein Pflegekind temporär oder dauerhaft bei sich aufzunehmen. Sie betreuen Kinder, die nicht bei ihren Eltern leben können: etwa weil diese ­einen Unfall hatten, überfordert, psychisch oder suchtkrank sind, in Haft sitzen oder ihre Kinder vernachlässigen.

Gemäss Ursula Heimgartner von der Fachstelle Pflegekind Aargau sind in der Schweiz 13 000 bis 15 000 Kinder in Pflegefamilien und Heimen platziert, genaue Zahlen gibt es nicht. Der Bedarf an Familienplätzen bleibt hoch, doch Pflegeeltern lassen sich nicht einfach finden. Heimgartner sagt: «Wer ein Kind bei sich aufnimmt, muss über viel Geduld, Verständnis und ein gutes Umfeld verfügen, denn viele Kinder bringen schwere Rucksäcke mit, die sich auf unterschiedlichste Weise bemerkbar machen.» Und man müsse sich bewusst sein: Die elterliche Sorge liege in der Regel weiterhin bei den leiblichen Eltern.

Geschärfter Blick aufs Leben

Alle Eltern werden von der Fachstelle auf Herz und Nieren geprüft und in einem Seminar auf ihre Aufgabe vorbereitet. Ob die Pflegeeltern verheiratet, alleinstehend oder homosexuell sind, spielt für viele Platzierungsstellen keine Rolle. Wichtig sind strukturelle und psychischen Ressourcen, Werthaltungen, das passende Alter und das Beherrschen der deutschen Sprache, nebst vielen weiteren Kriterien. Die Fachstelle besucht regelmässig alle Pflegeeltern und bietet Weiterbildungen und Supervision an.

In wenigen Wochen kommt der dritte Arnold-Sprössling zur Welt, und auch danach wollen Ramona und Roger Pflegeeltern bleiben. «Es ist schön, so verschiedene Menschen auf ihrem Weg zu begleiten», sagt Ramona. «Wir lernen viele Facetten des Lebens kennen», so Roger. «Die Kinder regen mich an, über vieles nachzudenken.» Gefallen an einer grossen Kinderschar hat auch ihre 16-jährige Pflegetochter gefunden: Sie sucht für den Sommer eine Lehrstelle als Kleinkindbetreuerin.

Infos für interessierte Pflegeltern: www.pflegekind-ag.ch.
Interview mit Ramona und Roger Arnold:  reformiert.info/pflegekinder