«Reisen sollte etwas Teures sein»

Wirtschaft

«reformiert.» hat mit Tourismusexpertin Monika Bandi Tanner darüber gesprochen, warum so viele Leute zwar wissen, wie man nachhaltig reist, es aber doch nur ein kleiner Teil tut.

Frau Bandi, kann man überhaupt fair, umweltbewusst und nachhaltig reisen?

Ja. Aber man muss sich vorher ein paar Sachen überlegen.

Worauf muss ich achten?

Ein wichtiger Aspekt ist die Mobilität. Wie erreiche ich mein Reiseziel, und wie bewege ich mich dort fort?

Gibt es in diesem Bereich eine Nachhaltigkeits-Rangliste?

Grob gesagt ist es am schonendsten, wenn ich mich zu Fuss, mit dem Velo und der Bahn fortbewege. Es folgen: Bus, Auto und erst dann Flugzeug oder Schiff. Je nach Distanz oder Dauer der Reise kann sich die Reihenfolge leicht verändern. Die Dauer einer Reise ist ebenfalls ein wichtiger Punkt, wenn man auf bewusstes Reisen setzen will.

Die Tourismusexpertin

Monika Bandi Tanner ist Co-Leiterin der Forschungsstelle Tourismus an der Universität Bern. Die 41-jährige Tourismusexpertin studierte an der Universität Bern und Bergen (NO) Volkswirtschaft, Psychologie und Betriebswirtschaft und ist Mutter zweier Kinder.

Wieso?

Es gibt Arten des Reisens, für die ich schlicht mehr Zeit brauche. Zum Beispiel, wenn ich auch längere Strecken mit dem Zug reise, anstatt mit dem Flugzeug. Für die Wahl der Reisedauer kann auch helfen, sich zu überlegen, wie gross die kulturelle Distanz von mir zum bereisten Land ist. Je grösser diese ist, umso mehr ist zu empfehlen, dass man länger dort bleibt.

Das heisst, für zehn Tage in ein Yoga-Retreat nach Bali zu fliegen, macht keinen Sinn.

Mit der Absicht fairer und nachhaltiger zu reisen eher weniger. Es ist ja auch interessant, dass viele Europäer die asiatischen Touristen etwas belächeln, weil diese weit fliegen und dann nur von Hotspot zu Hotspot hetzen. Aber selber reisen sie vielleicht tausende Kilometer, um eine Woche am Strand zu liegen.

Geiz ist geil und faires Reisen gehen schwer zusammen. Fair reisen kostet etwas.
Monika Bandi Tanner

Mobilität ist also ein wichtiger Punkt. Worauf sollte ich sonst noch achten?

Auf das Verhältnis zwischen mir als reisende Person und dem bereisten Land. Wie verhalte ich mich in meinem Urlaubsland? Selbstverständlich gibt es absolute «No gos» für Touristen: Von Kinderarbeit profitieren, Sex-Tourismus, Natur oder Tiere ausbeuten. Aber es geht auch um subtilere Dinge. Wie stark lasse ich mich auf mein Reiseland ein? Was konsumiere ich dort?

Wie kann man wissen, ob Angebote im Reiseland fair und nachhaltig sind?

Wenn man etwas von hier aus bucht, kann man auf Labels für nachhaltiges Reisen achten. Da gibt es zum Glück inzwischen einige. Auf der sicheren Seite ist man auch, wenn man bei spezialisierten Reiseveranstaltern bucht.

Heisst fair reisen, dass die Ferien teurer werden?

In gewisser Weise schon. Es braucht eine gewisse Zahlungsbereitschaft, wenn ich so unterwegs sein will. «Geiz ist geil» und faires Reisen gehen schwer zusammen. Fair reisen kostet etwas.

Das Umweltbewusstsein ist hoch und nimmt auch jährlich zu, das tatsächliche umweltbewusste Verhalten oder Reisen aber eben nicht.
Monika Bandi Tanner

Bringt Tourismus eigentlich, abgesehen vom wirtschaftlichen Aspekt, der Gesellschaft etwas?

Ja, aber nur, wenn Reisende und Bereiste wirklich miteinander in Kontakt kommen. Das bedingt, dass man sich vor einer Reise mit Land und Leuten auseinandersetzt. Im besten Fall findet so ein sozialer Austausch auf Augenhöhe statt, der für beide Seiten bereichernd ist.

Die meisten Menschen wissen wahrscheinlich, wie sie fairer und bewusster reisen könnten. Aber tun sie es auch?

Nur bedingt. Es gibt seit rund 50 Jahren Untersuchungen zu diesem Thema. Interessant ist, dass das Umweltbewusstsein hoch ist und auch jährlich zunimmt, das tatsächliche umweltbewusste Verhalten oder Reisen aber eben nicht. Es gibt eine Lücke zwischen dem, was man möchte, und dem, was man macht. Und diese Lücke wird im Bereich Reisen grösser. Es gibt Reiseanbieter, die versuchen, dem entgegenzuwirken.

Wie machen sie das?

Das Reiseunternehmen Studiosus hat zehn Jahre lang verschiedene Wege ausprobiert, um die Leute dazu zu bringen, den CO2-Ausstoss einer Reise finanziell zu kompensieren. Die Verantwortlichen haben die Möglichkeit zur Kompensation an verschiedenen Orten im Buchungsprozess eingefügt. Das Resultat: es hat sich auch bei einem sensibilisierten Publikum kaum etwas geändert. Studiosus hat dann entschieden, diese zusätzlichen Kosten einfach ins Produkt zu inkludieren. Die Kompensation kann so nicht mehr frei gewählt werden, sondern gehört einfach zum Angebot. In diesem Fall übernimmt der Anbieter Verantwortung für nachhaltiges Reisen.

Offensichtlich funktioniert es auf freiwilliger Basis zu wenig.
Monika Bandi Tanner

Finden Sie das richtig?

Aus Umweltsicht schon. Denn offensichtlich funktioniert es auf freiwilliger Basis zu wenig. Wenn man die Gäste fragt, sagen 70 Prozent, sie wollten nachhaltig reisen. Schaut man das Verhalten an, sind es ein paar Prozent, die das tatsächlich auch tun.

Können sich nur reiche Menschen nachhaltiges Reisen leisten?

Hier sind wir beim Thema, ob es ein Recht auf Reisen gibt. Reisen ist etwas Teures oder sollte etwas Teures sein, weil wir dabei enorm viele Ressourcen verbrauchen. Man kann aber durchaus mit einem kleinen Budget unterwegs sein und reisen. Es werden in diesem Fall jedoch kaum Fernreisen sein. Ich glaube, wir können es uns als Gesellschaft nicht erlauben, dass jede Art von Reisen für jedes Budget möglich ist. Dazu sind die Ressourcen zu knapp.

Es ist ein Irrglaube, dass das Reisen ein Menschenrecht ist.
Monika Bandi Tanner

Aber es wollen und können ja immer mehr Menschen reisen.

Es ist ein Irrglaube, dass das Reisen ein Menschenrecht ist. Dieser Irrglaube wird nicht zuletzt von der Tourismusindustrie genährt. In der Menschenrechtskonvention sind zwei Dinge festgehalten: Jeder Mensch darf sich frei bewegen. Und jeder Mensch hat das Recht auf Regeneration. Die Schlussfolgerung, dass damit Reisen gemeint ist, ist falsch.

Hat die Tourismusindustrie ein wirtschaftliches Interesse an nachhaltigen Angeboten?

Längerfristig schon. Denn mit Massentourismus wird von den Touristen manchmal gerade das zerstört, was sie ursprünglich suchen: intakte Natur und intakte Gesellschaften. Das Kapital des Tourismus zu übernutzen, zahlt sich irgendwann nicht mehr aus. Es gibt aber auch Modelle im Tourismus, die sich stark an Frequenzen orientieren. Wenn zum Beispiel eine Bergbahn einmal gebaut ist, muss sie von vielen Menschen genutzt werden, damit sie wirtschaftlich erfolgreich ist. Das ist eine Gratwanderung: Tourismus rentabel zu betreiben, ohne die Ressourcen zu übernutzen.

Bei vielen Menschen rückt im Alltag die Religion immer stärker in den Hintergrund. Trotzdem haben sie das Bedürfnis nach Spiritualität und wollen diese zum Beispiel auf Reisen erleben.
Monika Bandi Tanner

Weshalb reisen Menschen heute?

Die wichtigsten Motive fürs Reisen sind nach wie vor Erholung, Sonne, Ausspannen. Heute beobachten wir aber eine sogenannte «Motiv-Inflation». Das bedeutet: In eine Reise werden immer mehr Dinge reingepackt. Ich will Sonne und Strand geniessen, mich erholen, Sehenswürdigkeiten besuchen, vielleicht noch Sport treiben oder etwas Sinnhaftes tun. Schon aus persönlicher Sicht ist das eine Überforderung.

Man hat auch den Eindruck, dass es mehr Menschen gibt, die auf Reisen Sinn suchen, etwas helfen wollen oder Spiritualität erleben. Stimmt das?

Bei vielen Menschen rückt im Alltag die Religion immer stärker in den Hintergrund. Trotzdem haben sie das Bedürfnis nach Spiritualität und wollen diese zum Beispiel auf Reisen erleben. Man kann sich aber auch fragen, was zuerst war: Huhn oder Ei. Es gibt zum Beispiel Klöster, die sich öffnen, weil sie schlicht neue Einkunftsmöglichkeiten brauchen. Darum entstehen auch solche touristischen Angebote.

Funktionieren sie?

Durchaus. Ich habe das auch persönlich schon ausprobiert und ein paar Tage in einem Kloster in Deutschland verbracht. Es gab neben dem Kloster ein Gästehaus mit Wellnesseinrichtungen. Sehr schön und stilvoll gemacht und wirtschaftlich interessant für das Kloster. Es hat mir sehr gefallen. Es war aber ein tourismusangepasster Aufenthalt in einem Kloster.