Respektvoll und fair reisen würde allen gut tun

Wirtschaft

Wissen tun es wohl alle: Ferienreisen wirken oft negativ auf Umwelt und Menschen. Nur wenige aber handeln entsprechend. Fünf Punkte zu beachten, brächte bereits positive Effekte.

Ja, ich will nachhaltig reisen: In Umfragen behaupten das sinngemäss rund 70 Prozent der Bevölkerung. Das sagt Monika Bandi, Co-Leiterin der Forschungsstelle Tourismus an der Universität Bern. «Behaupten» ist in diesem Fall bewusst gewählt. Studien würden nämlich auch zeigen: «Schaut man das Verhalten an, sind es nur vier bis fünf Prozent, die es tatsächlich tun.»

Das hat fatale Auswirkungen auf die Umwelt. Geschätzte sechs bis acht Prozent des weltweiten Treibhausgasausstosses gehen zurzeit auf die Reisebranche zurück. Dieser Wert dürfte weiterhin steigen. Denn die Branche wächst stärker als andere, rund vier Prozent pro Jahr. 

Kein Menschenrecht

Warum handeln nicht mehr Menschen bei der Ferienplanung umweltbewusster? Ein Grund ist das Budget. Monika Bandi betont: «Geiz-ist-geil-Mentalität und faires Reisen gehen nicht zusammen. Reisen ist etwas Teures – oder sollte etwas Teures sein.» Schliesslich verschlinge der Tourismus enorm viele Ressourcen. Zu bedenken gibt die Expertin auch: «Es ist ein Irrglaube, dass Reisen ein Menschenrecht ist. Und dieser wird nicht zuletzt von der Tourismusindustrie genährt.»

Wie Kirchen faires Reisen unterstützen

Bereits 1977 wurde der Verein «Fair-unterwegs» gegründet. Initianten waren Entwicklungsorganisationen und Reiseveranstalter. Heute zählt er rund 160 Mitglieder und wird unter anderem von der reformierten Gesamtkirchgemeinde Bern und den kirchlichen Hilfswerken Heks (reformiert) und Fastenopfer (katholisch) unterstützt.

Die Fachstelle organisiert und verkauft keine Reisen. Sie bietet Tipps und Entscheidungshilfen für die Reiseplanung, Buchung und für unterwegs. Das kann in Form von Fakten und Hintergrundinformationen für die Allgemeinheit sein oder auch – für die Branche selbst – von Instrumenten für die Qualifizierung von Produkten und Angestellten. Online können beispielsweise über 1000 nachhaltige Hotels via Kartensuche abgerufen werden. Gemeinsam mit Partnern bietet Fairunterwegs eine Label-Beurteilung an.

fairunterwegs.org
tourismus-labelguide.org

Dass es mit der Freiwilligkeit nur mässig klappt, erfuhr beispielsweise der Reiseanbieter Studiosus aus Deutschland. Dieser versuchte auf verschiedene Weisen, eine freiwillige CO2-Abgabe im Bestellprozess einzubauen. Das wurde aber zu wenig genutzt. Inzwischen hat er die Abgabe einfach im Preis integriert. Die Verantwortung übernimmt das Unternehmen damit nun selbst.

Ein neues Geschäftsfeld

Die Nachhaltigkeit ist in verschiedensten Branchen ein wichtiges Geschäftsfeld geworden, gut sichtbar etwa in der Nahrungsmittelindustrie. Das zeigt sich auch im Tourismus: Diverse Anbieter spezialisieren sich auf ökologisch und sozial besser verträgliche Ferien. «Das ist eine Gesetzmässigkeit der Marktwirtschaft», sagt Jon Andrea Florin, Geschäftsleiter der NGO Fairunterwegs, die unter anderem von Kirchen unterstützt wird. Allerdings kämen solche Angebote selten über einen Marktanteil von zehn Prozent hinaus. «Reicht das?», fragt er rhetorisch – und antwortet gleich selbst: «Nicht wirklich.»

Florin sieht dennoch einen Streifen Licht am Horizont. «‹Fast Tourism› – schnell übers Wochenende nach Barcelona fliegen – ist out und Nachhaltigkeit in aller Politiker- und Touristikerinnenmunde.» Auch bei einigen Hotels und Reiseveranstaltern sehe man «echte Anstrengungen, etwas fürs Klima zu tun».

Zudem gibt der Experte zu bedenken: «Nicht jeder Tourismus ist Massentourismus, und Massentourismus ist nicht zwingend unfairer und unökologischer als Individualtourismus.» Denn Tourismus kann durchaus Gutes bewirken: Arbeitsplätze schaffen, auch für Menschen mit tieferen Chancen auf dem Arbeitsmarkt; die Wertschätzung und das Verständnis für andere Lebensweisen und Kulturen erhöhen; Existenzen erhalten in wirtschaftlich abgelegenen Gebieten; Naturreservate finanzieren.

Formel für mehr Glück

Als Orientierungsmöglichkeit hat Fairunterwegs die «GLÜCK-Formel» geschaffen. Dabei gilt es, fünf Punkte zu beachten: gemächlich unterwegs sein, Lokales bevorzugen und unterstützen, Raum lassen für Überraschungen, CO2- und andere Emissionen reduzieren sowie einen korrekten Preis bezahlen. Florin sagt: «Aufseiten der Reisenden bewirkt das Berücksichtigen dieser Punkte eine erhöhte Lebenszufriedenheit. Bei den Menschen im Reisegebiet unterstützt sie eine bessere Lebensqualität. Und für den Planeten Erde eine vergrösserte Überlebenswahrscheinlichkeit.»

Nicht jeder Tou­rismus ist Mas­sentourismus. Und dieser ist nicht zwingend unfairer und unökolo­gischer als Indivi­dualreisen.
Jon Andrea Florin, Geschäftsleiter Fairunterwegs

Laut dem Branchenkenner Florin gibt es rund 220 Zertifikate und «Pseudo-Zertifikate» im Zusammenhang mit Tourismus. 70 dieser Labels hat seine Organisation gemeinsam mit Partnern bewertet (siehe Infotext).

Auf ein Label – aber für die Schweiz – verweist auch Philipp Niederberger, Direktor des Schweizer Tourismus-Verbandes: «Swisstainable», dem 1400 Partnerbetriebe und Destinationsorganisationen angehören.

«Die Schweiz zählt zu den nachhaltigsten Tourismusdestinationen der Welt – das zeigen diverse Ratings», sagt Niederberger. Seit Januar 2022 baue der Verband zudem das Kompetenzzentrum Nachhaltigkeit (KONA) auf. Dieses soll zur Vernetzung beitragen, Synergien schaffen, Erhebungen durchführen und Wissensaustausch fördern.

Den Schaden gering halten

Steht die Reisebranche aber eigentlich nachhaltigem Handeln grundsätzlich nicht diametral entgegen? Schliesslich trägt sie in einem grossen Umfang dazu bei, dass zahlreiche Menschen rund um den Planeten reisen, um zu konsumieren. «Tourismus hat immer eine positive und negative Wirkung auf alle Dimensionen der Nachhaltigkeit», widerspricht Philipp Niederberger.

Und der Verbandspräsident wiederholt Aussagen, die auch Florin und Bandi gegenüber «reformiert.» machten: Wichtig sei vor allem, dass die Reisenden in Kontakt mit lokaler Kultur und Natur kämen, dass sie den öffentlichen Verkehr nutzten und dass die Aufenthalte länger dauerten als ein Wochenende – und zwar nicht nur in den Hauptsaisons.

Zwei Reisetipps von Fairtravel

Porrentruy - alte Grandezza

Porrentruy, über Jahrhunderte hinweg der Sitz des Bischofs von Basel, wohin ihn die Reformation vertrieben hat, ist auch für Nachhaltigkeitsaffine eine Reise wert. Sie dauert ab Bern rund anderthalb Stunden mit dem Zug. Die Gotik-Barock-Neoklassik-Stadt erinnert an eine alte Dame von Welt - mit Perlenkette und schwarz gekleidet, da Gatte früh verstorben - und daran, dass der Schnellzug nach Paris hier früher angehalten hat. Die Dame kann Geschichten erzählen, die witzigste ist die der jurassischen Künstler Plonk & Re im Le Pire, einem Kuriositätenkabinett. Das Fahrradfahren überlässt sie den Gästen. Man kann steil auf einen Jurapass hinauf radeln oder der Allaine entlang nach Frankreich. Wer sich einen Platten holt, kann diesen beim lokalen Velomech reparieren lassen. Für 15 Franken.

Zur Übernachtung empfehlen wir die Auberge du Mouton. Das zu den Swiss Historic Hotels zählende Haus wurde 2016 renoviert. Die historische Substanz wurde reanimiert, die Zimmer sind schlicht mit einigen Holz- und wenigen Vintagemöbeln ausgestattet. Fernsehen gibts nicht, dafür freien Blick auf die übermächtige Burg, ab 133 Franken. Man isst dort auch vorzüglich vegetarisch oder Forelle aus der Region, jurasissches Rind oder ebensolchen Käse. Spannende Weinkarte mit einigen überraschenden Bio- und Naturweinen.

Marseille - Quartierkultur erfahren

In einem Banlieu in Marseille betreibt die Genossenschaft Hotel du Nord ein Quartier- und Kulturzentrum mit einem von Kunstschaffenden gestalteten Hotel, Laden mit lokalen Produkten und Quartiertouren für Einheimische und Gäste. Das Zentrum ist für die Menschen im Quartier da und für Vorbeiziehende: Migranten, Studierende, Menschen auf Familienbesuch und Touristen. Darin soll Gastfreundschaft gelebt und wiederbelebt werden. Die Unterkunft findet man über ein Netzwerk von Zimmern in B&Bs, Ferienwohnungen, Jugendherbergen, auf Schiffen und in Aparthotels (hoteldunord.coop), die von Einheimischen geführt werden. Das Hotel du Nord ermöglicht Reisenden, ein Viertel am Rand der Stadt, seine Menschen, Geschichte und Kultur zu erfahren.