Recherche 28. März 2022, von Katharina Kilchenmann

Warum ein Kabiskopf mystischen Tiefgang hat

Lyrik

Grosse Worte macht die Theologin Marianne Vogel Kopp nicht. Auch ihre Gedichte kommen schlicht daher. Doch ihre Texte sind wie Steinchen im Wasser mit Kreisen ins Unendliche.

Mit Mann, Sohn und Hund lebt Marianne Vogel Kopp in Hondrich. Vor sich hat sie den Thunersee, im Rücken den Niesen. Das Haus ist mit Solarpanels ausgestattet, das Elektroauto ist zurzeit in Reparatur. Sie habe eine Beule ins nigelnagelneue Fahrzeug gemacht, meint sie etwas zerknirscht. Ihr Mann habe sich ziemlich geärgert.

Die Aussicht vom Wohnzimmer auf die Alpen ist spektakulär. Die 62-Jährige lässt ihren Blick schweifen. «Ich lebe gern hier, seit dreissig Jahren. Aber ich könnte auch woanders leben.» Sie sei generell nicht so sehr mit Besitz verbunden.«So wünschte ich mir einst eine Familie mit mindestens vier Kindern. Leider kam es anders.» Ihr erstes Kind hat sie verloren. Danach wurde sie lange nicht schwanger, und nach der Geburt ihres Sohnes auch nicht mehr. «Nun sind wir zu dritt als Familie so glücklich miteinander. Ein Riesengeschenk.»

bist du es schon
oder willst es werden
liebhaber liebhaberin
des lebens

Marianne Vogel Kopp

Marianne Vogel Kopp bezeichnet sich grundsätzlich als Glückskind. Aufgewachsen in einer Familie, in der sie ihre mystische Ader ungehindert ausleben konnte, besuchte sie manchmal gleichzeitig drei verschiedene Sonntagsschulen. Daneben bot ihr die Natur einen schier unendlichen Raum für transzendente Erfahrungen. In Taizé fand sie als junge Frau ihre noch immer tragende spirituelle Heimat.

Frau mit «Ranzechraft»

Das Theologiestudium in Basel und Jerusalem schliesslich gab ihrem Glauben eine intellektuelle Grundlage und eine Sprache. Feministische Theologie und integrales Christentum erweiterten ihn. «Für mich ist dies ein stimmiger, organisch gewachsener Weg», hält sie fest.Als Theologin wirkte sie meist am Rand der Kirche, schrieb zwei Entwicklungsromane und bietet derzeit Enneagramm-Seminare an, in denen sie Menschen in ihrer Entwicklung begleitet.

Die Worte mögen simpel sein, die Transformation, von der sie erzählen, ist es nicht.
Marianne Vogel Kopp

«Ich war immer schon etwas speziell und bin deshalb wohl auch ein wenig einsam.» Aber sie sei gottseidank mit Resilienz ausgestattet: mit Humor, Struktur, Kopf, Herz und «Ranzechraft». «Geschenke, die ich mit anderen teile.» Das tut sie mit ihrem neusten Lyrikband «Dem Heiligen lauschen». Lyrik im herkömmlichen Sinn sind Marianne Vogel Kopps Gedichte allerdings nicht. Wer die Texte analytisch und mit einem künstlerischen Anspruch liest, mag einige Stellen zu erklärend, belehrend oder gar etwas simpel finden.

Mehr als Kloliteratur

Mit dieser Einschätzung hat die Autorin kein Problem, denn ihr Werk sei Gebrauchsliteratur. «Es freut mich, wenn jemand mein Büchlein etwa auf dem Klo liest», meint sie, «wenn sich ein paar Menschen auf ruhigen Inseln inmitten ihres Alltags an den Worten erfreuen.»

Nun lacht die aussergewöhnliche Frau einmal mehr ihr Lachen, das klingt wie ein cremiges Caramelbonbon. Sie weiss natürlich, dass sie mit ihrer Lyrik mehr geschaffen hat als Kloliteratur. Dass die verdichteten Texte ihrem persönlichen Weg mit Gott eine Sprache geben, die in der Tradition der christlichen Mystik steht. Sie richtet sich damit an Leute, die einen ähnlichen Weg gehen und die Worte als Wegweiser, Zwischenverpflegung oder als Aufmunterung in Zeiten des Zweifelns zu sich nehmen. «Die Worte mögen simpel sein, die Transformation, von der sie erzählen, ist es nicht», erklärt Vogel Kopp.

Marianne Vogel Kopp: Dem Heiligen lauschen, Gedichte aus der Stille. Verlag TVZ, 2022, 96 Seiten, Fr. 19.80

Sie ist überzeugt, viele Menschen seien spirituell hungrig. Und es brauche Schreibende, die ausdrücken, was unsagbar ist. «Mein Weg ist es, meine Gedanken erst ins Herz und dann in Sprache zu bringen.» Deshalb sei eines der schönsten Komplimente, das sie je erhalten habe, das eines Pfarrkollegen aus dem Gürbetal: «Ich sei wie ein Kabis, meinte er, auch der habe das Herz im Kopf.» Sie richtet sich damit an Leute, die einen ähnlichen Weg gehen und die Worte als Wegweiser, Zwischenverpflegung oder als Aufmunterung in Zeiten des Zweifelns zu sich nehmen. «Die Worte mögen simpel sein, die Transformation, von der sie erzählen, ist es nicht», erklärt Vogel Kopp.

Gedanken durchs Herz aufs Papier

Sie ist überzeugt, viele Menschen seien spirituell hungrig. Und es brauche Schreibende, die ausdrücken, was unsagbar ist. «Mein Weg ist es, meine Gedanken erst ins Herz und dann in Sprache zu bringen.» Deshalb sei eines der schönsten Komplimente, das sie je erhalten habe, das eines Pfarrkollegen aus dem Gürbetal: «Ich sei wie ein Kabis, meinte er, auch der habe das Herz im Kopf.»