Recherche 22. Februar 2024, von Isabelle Berger, Mirjam Messerli

Und plötzlich packte sie die Lust, es endlich zu lernen

Lernen

Etwas Neues lernen kann man in jedem Alter. Warum es sich lohnt, seine Ängste zu überwinden und sich einen alten Traum zu erfüllen, erzählen drei erwachsene Lernende.

Ballett lernt man mit vier Jahren, nicht mit 40. Soll ich in meinem Alter noch mit Kunstturnen beginnen? Unmöglich. Und wer nicht Noten lesen kann, hat keine Chance, klassischen Gesang zu erlernen. Solche Glaubenssätze haben so viele Menschen verinnerlicht.

Dabei hat die Wissenschaft diese tief sitzenden Annahmen längst widerlegt: Neues lernen kann man in jedem Alter. Mehr noch: Man sollte es sogar stetig versuchen. Denn lebenslanges Lernen hält nicht nur den Körper gesund, sondern auch den Geist wach und rege.

Erwachsene Anfänger

Auch Sportvereine, Chöre und Bildungsinstitute haben entdeckt, dass erwachsene Anfängerinnen und Anfänger eine interessante Zielgruppe sind. Wer im Internet nach Kursen sucht, die erwachsene Lernwillige besuchen können, findet unzählige Angebote.

So ist es nicht verwunderlich, dass wir zwei Kolleginnen auf der Berner Redaktion von «reformiert.» kürzlich feststellten, dass beide in mehr oder weniger fortgeschrittenem Alter noch mit Ballettstunden beziehungsweise mit Eiskunstlaufen angefangen haben und davon begeistert sind.

Primaballerina oder die neue Denise Biellmann werden wir beide vermutlich nicht mehr. Es ist nämlich auch erwiesen, dass man als erwachsene Person die schiere Anzahl Stunden Training, die es zur Meisterschaft braucht, gar nicht mehr aufholen kann.

Trotz allem gilt: Mehr körperliche und geistige Beweglichkeit, Mut zu Neuem, neue Freundschaften und ganz einfach Spass daran, sich einen Kindheitstraum zu verwirklichen, sind auch viel wert. In diesem Sinne sollen auch die drei unten ausgewählten Beispiele anregen, 2024 etwas Neues zu lernen.

«Tanz ist für mich Freude am Leben»

«Ballett erlebe ich als Gesamtkunstwerk, bestehend aus Sport und Musik. Es hat mir schon immer gefallen, aber als Kind konnte ich keine Ballettstunden nehmen.

Vor ungefähr sieben Jahren habe ich gesehen, dass es Anfängerkurse für Erwachsene gibt. Bis ich mich in eine Schnupperstunde traute, dauerte es eine ganze Weile. Ich dachte, dass es doch albern ist, in diesem Alter noch mit Ballett anzufangen. Zu wenig beweglich, nicht graziös genug …

Beruflich arbeite ich als Psychiaterin. Ich habe mir gesagt, dass ich nicht anderen raten kann, man müsse seine Ängste überwinden, und es selbst nicht tun. Nach der Probestunde war alles klar: Ich will Ballett lernen! Der Lehrer war supernett, die anderen Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer auch. Ich fühlte mich überhaupt nicht daneben als Anfängerin.

Seither besuche ich zwei bis drei Ballettlektionen pro Woche. Noch nie zuvor in meinem Leben habe ich so gern Sport gemacht. Inzwischen ist unsere Klasse zu einer coolen Truppe zusammengewachsen. Wir unternehmen auch privat manchmal etwas. Ich bin glücklich, dass ich mich getraut habe, mit Ballett anzufangen. Tanz ist für mich Lebensfreude.» (Aufgezeichnet: mm)

 

«Singen macht mich glücklich»

«Ich bin in einer Familie von Handwerkern aufgewachsen. Musik war aber schon im Elternhaus sehr präsent: Oft lief bei uns der Plattenspieler. Gern hätte ich schon damals klassisch singen gelernt, aber ich hatte keine Möglichkeit dazu.

Mein Traum schlief über die Jahre ein, verschwunden ist er aber nie. Vor fünf Jahren dachte ich plötzlich: Warum nehme ich eigentlich nicht einfach Gesangsstunden? Es war jedoch gar nicht so einfach, den passenden Ort dafür zu finden. Ich kann keine Noten lesen. Schliesslich fand ich einen tollen Lehrer am Konsi Bern, der mein Anliegen auch wirklich ernst nahm.

Von Beruf bin ich Buschauffeur. Inzwischen habe ich mich damit abgefunden, dass ich mir manchmal Sprüche anhören muss, wenn ich von meinem Hobby erzähle. Aber he, ich bin 62 Jahre alt. Da stehe ich inzwischen drüber.

Ich übe jeden Tag. Meine Stimme ist mein Instrument. Manchmal singe ich bei einer Leerfahrt im Poschi. Es gibt immer wieder Neues, an dem ich arbeiten kann. Mein Ziel ist es, die Gesangstechnik möglichst gut zu lernen, nicht, auf einer Bühne zu stehen. Ich mache das nur für mich. Singen, das macht mich ganz einfach glücklich.» (Aufgezeichnet: mm)

 

«Imkern ist Lernen mit allen Sinnen»

«Mit 24 Jahren begann ich vom Imkern zu träumen und davon, damit die Welt zu verbessern. Auch mein Vater hätte gern Bienen gehalten, aber es ergab sich in seinem Berufsleben als Landwirt nie. Anlässlich seiner Pensionierung schenkte ich ihm den gemeinsamen Besuch eines zweijährigen Imkerkurses. Heute haben wir zehn Bienenstöcke.

Am Anfang faszinierte mich vor allem die Schwarmintelligenz der Bienen. Mich überraschte dann ihr Lebenszyklus. Zu lernen, dass das Sterben dazugehört und danach wieder neues Leben kommt, tat mir gut. Die Lockerheit der Bienen schärfte mein Bewusstsein, jetzt zu leben. Zudem lernte ich, mit allen Sinnen zu lernen.

Man muss den Flug der Bienen beobachten, hören, ob sie laut oder leise sind, riechen, ob Honig oder Krankheiten da sind, und den Honig verkosten. Das Imkern veränderte auch meine Werte. Ich merkte, welche wichtige Bedeutung auch ‹Unkraut› hat.

Meinen Traum zu leben, bedeutet mir, dass ich etwas an die Natur und die Gesellschaft zurückgeben kann. Das verschafft mir grosse Zufriedenheit. Dazu gibt es den Honig, ein super Produkt. Durch mein erworbenes Wissen ist er für mich heute Medizin.» (Aufgezeichnet: ibb)