Es ist Frühling, in den Kleiderschränken braucht es Platz für Neues. «Magic Cleaning» heisst das aktuelle Zauberwort, und die «Aufräumpäpstin» Marie Kondo rät in den Medien zum radikalen Ausmisten: nur behalten, was man noch trägt, und den ausrangierten Kleidungsstücken ein neues Leben ermöglichen. Nichts einfacher als das. Hierzulande gibt es in beinah jeder Gemeinde Sammelcontainer, in die wir rund um die Uhr Altkleider einwerfen können. Und Texaid, eines der grössten Textilrecycling-Unternehmen Europas, schickt auch Sammeltüten per Post nach Hause und holt sie dort voll wieder ab.
Das gute Gefühl der Spenderinnen und Spender, wenn etwa die kaum getragene Winterjacke eine zweite Chance bekommt, ist für die Sammelfirmen ein lukratives Geschäft. So war vor einigen Wochen aus der Presse zu erfahren, der CEO von Texaid plane ein privates 10-Millionen-Bauprojekt im steuergünstigen Baar. Die Entrüstung war gross und führte dazu, dass die Textilverwertungs AG ihre Geschäftszahlen und das Jahresgehalt (inklusive Bonus) ihres Chefs offenlegte: immerhin etwas über 380 000 Franken.
Der Rest landet im Abfall
Dass man mit Textilrecycling Geld verdienen kann, sei nicht neu, nur den meisten nicht bewusst, meint David Hachfeld von der Schweizer Organisation Public Eye. «Viele glauben immer noch, Kleiderspenden würden direkt Bedürftigen zugutekommen, doch der Kreislauf ist ein anderer.» Als Fachverantwortlicher für die «Clean Clothes Campaign» kennt er den Weg, den Alttextilien gehen: Von den Sammelstellen gelangen die Kleider in Sortieranlagen in Osteuropa, wo die Lohnkosten niedriger sind. Nun wird die Ware verteilt: Brauchbares kommt in den Secondhandkreislauf, das Übrige wird als Rohstoff verkauft. Daraus entstehen Putzlappen oder Dämmmaterial für die Industrie. Der letzte Rest landet im Abfall. Laut Texaid werden von den über 36 000 Tonnen Altkleidern, die jährlich in der Schweiz gesammelt werden, 65 Prozent wiederverwertet.
Wie viele der Kleider effektiv noch einmal getragen würden, sei kaum festzustellen, sagt Public-Eye-Mitarbeiter Hachfeld. Zudem stünden die Preise von Secondhandprodukten stark unter Druck, da die Märkte weltweit mit Billigtextilien überschwemmt würden. «Tatsache ist, dass wir Kleider loswerden wollen, ohne genau zu wissen, was damit passiert.» Und wie bei Papier oder Elektroschrott werde damit bei der Rückgewinnung Geld verdient; das sei durchaus legitim, sagt Hachfeld. Allerdings seien unter diesen Vorzeichen Kleidersammlungen weniger Spenden denn Entsorgung von Konsummüll. «Und Texaid ist kein Hilfswerk, sondern eine profitorientierte Privatfirma.»
Altkleiderflut in Afrika
Texaid wurde 1978 von einem Unternehmer und sechs Schweizer Hilfswerken gegründet, denen die Firma heute noch zur Hälfte gehört. «Unsere Firmenstruktur ist seit jeher transparent», betont Texaid-Sprecherin Rahel Ziegler. «Und der Grossteil unseres Erlöses geht nach wie vor an die beteiligten Hilfswerke und andere caritative Organisationen.» Den oft gehörten Vorwurf, die Exporte von Secondhand-Kleidern nach Afrika würden die dortige Textilindustrie zerstören, weist Ziegler zurück. «Altkleider aus Europa hatten nur einen geringen Einfluss auf den Niedergang des einheimischen Marktes.» Eine Studie in Ghana und Tunesien habe sogar einen positiven Effekt des Altkleiderhandels gezeigt.
Was mit der Winterjacke nach der Sammlung genau passiert, wissen die Spendenden also nicht sicher. Sicher ist nur, dass Kleider immer mehr zu Wergwerfartikeln werden, dass die Tragedauer stetig abnimmt und die Alttextilberge ungebremst wachsen. Ab in den Müll also mit den alten Klamotten? Nein, meint Michael Hügi vom Bundesamt für Umwelt. «Altkleider zu recyceln, ist aus der Sicht des Umweltschutzes und der Schonung von Primärressourcen richtig.» Dem Bund fehle jedoch die rechtliche Grundlage zu bestimmen, ob und wohin die Altkleider exportiert würden. «Die Verantwortung über den ethischen Umgang mit den Textilien liegt also bei den exportierenden Firmen.»
David Hachfeld von Public Eye plädiert denn auch für strengere Vorgaben für den Textilzyklus. Und ebenso für ein nachhaltigeres Konsumverhalten, nämlich: weniger konsumieren und weniger wegwerfen.