Recherche 07. September 2018, von Daniel Klingenberg

Wenn die Kirche die Tiere vergisst

Ethik

Seit Jahren engagiert sich «Aktion Kirche und Tier» gegen die Tiervergessenheit in den Kirchen. Mit mässigem Erfolg.

«Wir haben als Christen versagt, weil wir in unserem Glauben die Tiere vergessen haben.» Das ist der erste Satz im «Glauberger Schuldbekenntnis», das ein deutsches Pfarrehepaar Ende der 1980er-Jahre formuliert. Es ist der Anfang der Bewegung «Kirche und Tier», die 2004 in der Schweiz zur Gründung des Vereins «Aktion Kirche und Tier», AKUT, führt.

Seit zwei Jahren ist der 46-jährige Pfarrer und Ethiker Christoph Ammann Präsident des Vereins. «Unser grosses Ziel ist der Gesinnungswandel von uns Christen im Verhältnis zu den Tieren», sagt Ammann.

Eine «ethische Sonderstellung»

Um dahin zu kommen, braucht es eine denkerische Neufassung der Beziehung zu den Tieren. «Menschen und Tiere sind beide Gottes Geschöpfe. Unter den Geschöpfen Gottes aber gibt es keine Abstufung.»

Eine Tierethik von heute wirft daher die jahrhundertelang gängige Abwertung der Tiere über Bord. Weil Tiere nicht Gottes Ebenbild sind, dürfe man sie töten, wurde seit jeher argumentiert. Mit den bekannten Folgen der industriellen «Verwertung» von Tieren, sagt Ammann. Eine neue Tierethik setzt anders an. Wohl gibt es einen Unterschied zwischen Mensch und Tier. «Die Differenz liegt in der Verantwortlichkeit gegenüber der Schöpfung», sagt Ammann. Beide sind Geschöpfe Gottes, aber der Mensch hat eine «ethische Sonderstellung».

Aus dieser Verantwortung leitet Ammann die Haltung zu Tieren ab: «Behandle die Tiere so, dass sie in ihrer Art ein gutes Leben leben können.» Dabei unterscheidet er die Beziehung zu Haustieren und Wildtieren. Bei der ersten Gruppe geht es um Fürsorge, bei der zweiten um das Intakthalten ihrer Lebensräume.

Tierschutz gehört zum Kirchenrecht

Ammann, der seit 15 Jahren kein Fleisch isst, sagt: «Wir haben als Gesellschaft tatsächlich eine grosse Tiervergessenheit und eine Verdrängung des Leidens von Tieren.» Die übertriebene Tierliebe oder die Vermenschlichung versteht er als «gestörte» Beziehung zu Tieren.

Die Aufgabe lautet also: Eine Beziehung zu Tieren als «Mitgeschöpfen» aufbauen. Ammann sieht hier auch in der Kirche grossen Nachholbedarf. Diese tue eindeutig zu wenig für Tiere. Sowohl der Einsatz für bedrängte Menschen als auch die Bewahrung der Schöpfung seien in der Kirche tief verankert. Aber Tierschutz oder Tierrechte kommen kaum vor. Ein Gesinnungswandel wäre für ihn ein Schritt hin zu mehr Friedfertigkeit und Liebe auf dem blauen Planeten.

Mit dem Hund pilgern

Der Verein AKUT hat schweizweit etwas über 300 Mitglieder. Eines der Angebote ist das «Stadtrandpilgern mit Hund» in Zürich, ein «Gottesdienst im Gehen». AKUT bietet auch Vorträge an und wirkt in Tiergottesdiensten mit. – Wie aber könnte eine «grosse Wende» passieren, sodass die Verantwortung für Tiere selbstverständlich zum Menschsein gehört? Das ist für Ammann eine offene Frage. Klar ist für ihn: Es geht nicht allein mit Argumenten. Es braucht die Anschaulichkeit, die Betroffenheit. «Vielleicht müsste man es wagen, mit Konfklassen einen Schlachthof zu besuchen.»