Mit der Passion für einen Neuanfang
Kirchgemeindemitglieder denken ihre Kirche neu. Dynamisch soll sie sein und mutig im Ausprobieren von modernen Gottesdienstformen. Eine Entwicklung mit Vorbildcharakter.
«Jetzt müssen wir was tun, wenn die Kirche bei uns weiterleben soll», sagt Theresa Schütz auf die Frage, warum sie sich engagiert. Denn seit 2021 sind die Menschen in der Kirchgemeinde Tamins-Bonaduz-Rhäzuns ohne fest angestellte Pfarrperson – und auch die Vorstandsposten sind vakant. Zum «Müssen» komme aber ein mindestens so grosses «Wollen», ergänzt Mitstreiterin Rahel Wildbolz. Die beiden Frauen aus Bonaduz sind Teil einer Gruppe, die die Krise als Chance sieht und ihre «Kirche neu denken» will. Diesen Titel trug auch der Workshop, den eine Projektgruppe Anfang Februar in Bonaduz organisierte. 60 Personen quer durch sämtliche Altersklassen machten sich einen Tag lang Gedanken, ob und wie es mit ihrer Gemeinde weitergehen soll. «Eine Form von Bedürfnisabklärung», sagt Wildbolz.
Berufstätige aussen vor
Ein paar Wochen später sitzt Rahel Wildbolz am Esszimmertisch in ihrem Haus. Vor ihr liegen die demografischen Daten der reformierten Kirchgemeinde Tamins-Bonaduz-Rhäzüns. Wie überall schwinden auch hier die Mitgliederzahlen. «Ein Grossteil der reformierten Bevölkerung wird von den Angeboten der Kirche nicht angesprochen», sieht Wildbolz das Problem. Sie deutet auf ein Segment eines Tortendiagramms, das vor ihr auf dem Tisch liegt. Es zeigt, dass die 25- bis 65-Jährigen, also die Berufstätigen, den grössten Teil der reformierten Bevölkerung ausmachen. «In diesem Segment bin auch ich, und ich wünsche mir andere Angebote von der Kirche», sagt die gelernte Apothekerin. Gerade das sei für sie der Grund, jetzt Verantwortung zu übernehmen und an der Gestaltung ihrer Kirchgemeinde aktiv mitzuarbeiten.
Partizipation ist gewollt
Auch andere Mitglieder scheinen den Wunsch nach Teilhabe zu hegen. Das zumindest zeigt die Auswertung des Workshops. So ist «Partizipation» einer der Begriffe, die bei den meisten Teilnehmenden fielen. «Mich hat das überrascht», sagt Rahel Wildbolz, werde doch oft unterstellt, dass Menschen sich vermehrt aus Vereinen und Gemeinschaften zurückzögen. Und Theresa Schütz ergänzt: «Wir konnten definitiv feststellen: Die Kirchgemeinde ist bereit, Veränderung anzupacken.»
Impuls statt Predigt
So eine Veränderung könnte auch in der Form des Gottesdienstes offenbar werden. Rahel Wildbolz stellt sich ein Angebot vor, in dem Menschen stärker mitmachen können als bisher. Der Gottesdienst als ein Impuls zu einem gewählten Thema und im Anschluss Fragen wie «Hast du das auch schon mal erlebt?», «Was hat das für dich bedeutet?», die in den Gruppen diskutiert werden können. Der herkömmliche Gottesdienst hat auch für Theresa Schütz zu starre Formen. «Man setzt sich hinein, jeder für sich, hört zu und geht heim.» Das sei wenig lebendig, findet die 33-Jährige, die als Berufsbeiständin arbeitet. Letztlich mache es aber die gute Mischung aus. Für alle, die gern das Traditionelle hätten, solle es etwas geben, aber auch für die, die gern partizipierten. Da die Zahlen der Gottesdienstbesuchenden aber recht tief seien, gebe es gute Argumente, neue Formen von Gemeinschaft zu wagen.
Ein neuer Vorstand muss her
Und das Bedürfnis sei da: «Ich denke, Spiritualität als Anlage in den Menschen ist nicht einfach verschwunden. Sie wird nicht in dem Mass weniger, wie es die Mitgliederzahlen der Kirchen werden», ist sich Wildbolz sicher. Für den Neuanfang in der Kirchgemeinde Tamins-Bonaduz-Rhäzuns jedenfalls wird eine Pfarrperson gesucht, die sich mit den beiden Frauen, Mitarbeitenden und Freiwilligen auf den Weg macht und «mutig ausprobiert», so Wildbolz. Neben dem Wunsch nach einer Pfarrperson will die Gemeinde auch wieder einen Vorstand konstituieren. Zwei Mitglieder hat der bereits, denn Rahel Wildbolz und Theresa Schütz haben sich entschieden, Posten zu übernehmen. «Unser Ziel ist, ab dem kommenden Halbjahr mit einem neuen Vorstand zu starten», sagt Wildbolz.
Das Potenzial von Kirche
Das Potenzial und der Wunsch nach einer Kirche, die später auch für ihre Kinder da ist, treibt die Frauen an. Daher stellen sie die Fragen, die wohl nicht nur in ihrer Kirchgemeinde unter den Nägeln brennen: Wo sind die Bedürfnisse der Menschen? Wo hat die Kirche ihren Platz? «Und wir wollen den Menschen wieder zeigen, wofür es gut ist, Steuern zu zahlen», sagt Schütz.
Gemeinde im Umbruch
1681 Personen sind derzeit Mitglieder der Kirchgemeinde Tamins-Bonaduz-Rhäzüns. Die Kirche liegt auf einem Hügel hoch über Tamins, von dem man hinunter ins Rheintal blickt. Seit 2021 lebt die Gemeinde ohne fest angestellte Pfarrperson und seit diesem Jahr ohne Vorstand. sie wird von einem externen Kurator verwaltet. Damit das nicht so bleibt. ist eine Gruppe von Mitgliedern aktiv geworden. sie hat im Februar einen Workshop organisiert. Jetzt sollen die Ergebnisse umgesetzt werden. Eine Pfarrperson, die "nah bei den Menschen ist", wird gesucht.