An den Dorfeingängen von Kehrsatz stehen, wie bei anderen Dörfern auch, blaue Tafeln mit Hinweisen auf reformierte und katholische Gottesdienste. Was Kehrsatz jedoch von anderen Dörfern unterscheidet: Man sucht vergeblich nach zwei Kirchen – einer reformierten und einer katholischen. Es gibt nur eine, aus einem gemeinsamen Willen von Christen bewusst geschaffene und getragene: die Andreas-Kirche im Ökumenischen Zentrum. Allerdings: das Haus zu planen, war in den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts eine vielfältige Herausforderung, und in der Öffentlichkeit regte sich Widerstand. Leute zogen weg; sie befürchteten eine Beeinträchtigung der religiösen Erziehung ihrer Kinder. Es gab Demonstrationen; «Romtreue Katholiken» bekämpften das Projekt medienwirksam. Aber es wurde verwirklicht: Heute, nach vierzig Jahren, steht das leuchtend weisse Gotteshaus schöner da als je, und der Blick geht weit hinaus zu den Bergen, hin zum Himmel.
Lesen, lernen, essen, feiern. Das Ökumenische Zentrum ist ein Begegnungsort für Jung und Alt geworden, mit Angeboten, die auch die Gemeinde mitträgt. Die Stelle für die offene Jugendarbeit hat hier ihr Büro, in den Räumen finden Anlässe für die Senioren statt, Konzerte und Lesungen bringen Kultur ins Dorf. Es gibt hier den Mittagstisch der Tagesschule, Aufgabenhilfe auch für ausländische Kinder, Unterstützung von Menschen mit psychiatrischen Problemen usw. Hier wird gearbeitet, vernetzt, Gemeinschaft geübt und gefördert. Das Öki, wie die Kehrsatzer ihr Zentrum nennen, ist heute ein sozialer Ort par excellence, ständig erneuert und verschönert.
Neugier war bei der gemischt konfessionellen Gruppe, die sich anschickte, das völlig Neue in Kehrsatz zu planen, wohl eine wichtige Triebfeder. Deren Mitglieder waren zwar alle davon fasziniert, gemeinsam einen Kirchenbau zu realisieren. Kirchlich im eigentlichen Sinne hätten sich wohl nicht alle bezeichnet. Die Möglichkeit aber, Neues auszuprobieren, beschwingte. Neugier und Freude, selbst religiös kreativ zu sein, hielt auch in den ersten Jahren im Öki an: Zum Beispiel bei jener Gruppe von Konfirmandinnen in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre, die mit vielen Freundinnen zusammen einen 24-stündigen Gottesdienst in der Kirche feierte. In einem Kirchenraum, der tagsüber in ein mystisches Licht getaucht war, weil die Oberlichter mit durchsichtigen farbigen Folien belegt worden waren. Und nachts spiegelten sich Begeisterung und Hochstimmung auf den von Kerzen erhellten Gesichtern dieser jungen Menschen, die auch zu später Stunde nicht müde wurden, Gott singend zu preisen.
Radfahrer im Mönchsgewand. Reformierte und katholische Theologiestudenten begegneten sich über ein verlängertes Wochenende, befragten sich gegenseitig, erklärten sich und fanden sich schliesslich, wie selbstverständlich – was es damals nicht war – zum sonntäglichen öffentlichen Gottesdienst ein. Sie hatten die Nächte mit Genehmigung der Gemeinde in der unterirdischen Sanitätshilfstelle verbracht. Einer der Beteiligten, ein junger Angehöriger des Kapuzinerordens, war in seiner braunen Kutte auf dem Fahrrad von Solothurn extra zu diesem Anlass nach Kehrsatz gereist. – Neugier und neues Selbstverständnis: Man hatte sich abgesprochen. Wohl kaum über das Internet, eher durch Verständigung von Mund zu Mund.